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10:12 Uhr - 26.09.2019

«Die Zinserwartungen sprechen für Banken»

Daniel Rotzer, Chefökonom bei der Walliser Kantonalbank, investiert in japanische Staatsanleihen, um das Portfolio zu stabilisieren.

Herr Rotzer, die Zentralbanken senken die Zinsen, die Wirtschaft schwächt sich ab. Das ist doch kein attraktives Umfeld für Anleger?
Ich sehe für die kommenden zwei Quartale weder eine Rezession noch einen externen Schock, und das waren in der Vergangenheit die Ursachen für Marktverwerfungen und Krisen. Auch Inflation oder Blasenbildung sehen wir nicht.

Aber alle Vermögensklassen, von Aktien über Obligationen bis hin zu Immobilien, sind doch teuer.
Sicher sind die Bewertungen gestiegen, aber von einer Übertreibung würde ich nicht sprechen. Die rekordtiefen Zinsen kamen vor allem durch die Intervention der Zentralbanken zustande.

Kein Grund zur Beunruhigung also?
Man findet immer einen Grund, nicht investiert zu sein. Die letzten neun Monate haben erneut gezeigt, wie wichtig es ist, dass Anleger ihr Geld anlegen. Bei den Zinsen betrachte ich die Rendite auf dem Konto. Dabei hat in den vergangenen zwanzig Jahren nominal vielleicht eine geringe Rendite herausgeschaut. Real, also nach Abzug der Inflation, war die Rendite nahe bei null, auch als die Zinsen noch nicht im negativen Bereich waren.

Also können Investoren Obligationen als Anlage vernachlässigen?
Auf keinen Fall. Gerade in unsicheren Zeiten sorgen qualitativ hochwertige Anleihen im Portfolio für Stabilität, auch wenn sie keine Rendite abwerfen. Schweizer «Eidgenossen» gehören vermutlich zu den sichersten Anlagen überhaupt. Aufgrund des Zinsänderungsrisikos sollten sich Investoren einfach nicht über einen zu langen Zeithorizont engagieren.

Was heisst das?
Die durchschnittliche Restlaufzeit der Anleihen sollte fünf Jahre nicht übersteigen.

Aber Rendite suchen Anleger bei festverzinslichen Investments vergeblich?
Nicht unbedingt. Das ist eine breite Anlageklasse. Von Staats- und Unternehmensanleihen über hochverzinsliche Papiere bis zu Schwellenländeranlagen findet sich für jeden Risikoappetit etwas.

Wo sehen Sie Chancen?
Zum Beispiel bei den hochverzinslichen Anleihen. Die Risikoaufschläge liegen bei 4,5% für europäische und amerikanische Papiere, die Währung sichern wir ab.

Aber mit einem Rating von BB oder B sind diese Papiere hoch riskant.
Das stimmt. In der Regel eignen sie sich allerdings sehr gut zur Portfoliodiversifikation und Einkommensgenerierung. In einem ausgewogenen Portfolio investieren wir heute etwa 6% in diese Anlageklasse. Die Wiederaufnahme des Obligationenaufkaufprogramms durch die Europäische Zentralbank sollte diese Anlageklasse stützen.

Wie setzen Sie das um?
Über Kollektivanlagen, damit wir das Risiko auf eine grosse Anzahl Schuldner verteilen können.

Wo sehen Sie sonst noch Potenzial?
Wir halten für Schweizer Kunden einen hohen Anteil japanischer Staatsanleihen.

Bitte erläutern Sie das genauer.
Die japanische Zentralbank betreibt eine Renditekontrollpolitik. Das heisst, sie wird die zehnjährigen Zinsen um 0% halten. Somit können wir das Zinsänderungsrisiko für Schweizer Kunden reduzieren, aber gleichzeitig einen stabilen Baustein im Portfolio implementieren.

Als Anleger will ich nicht nur Stabilität, sondern auch Rendite. Wie soll ich investieren?
In Aktien. Nehmen Sie den Swiss Market Index SMI (SMI 9982.63 0.68%). Er hat in den letzten dreissig Jahren inklusive Dividende rund 12% pro Jahr zugelegt. Trotz der Schwankungen, die in dieser Zeit aufgetreten sind, ist das ein super Ergebnis.

Also alles in Aktien investieren?
Es müssen nicht 100% sein, das ist abhängig von der Risikotoleranz des Investors. Aber ich gehe davon aus, dass das Renditeumfeld auch für die kommenden Jahre intakt ist. Ein substanzieller Teil sollte deshalb in Aktien investiert sein, sonst verliert man langfristig sicher Geld.

Weshalb?
Das ist Mathematik. Wenn man davon ausgeht, dass die Weltwirtschaft 3% jährlich wächst und 2% Inflation hinzukommen, ergibt das ein Wachstum von 5%. Das ist die Basis für den künftigen Gewinnanstieg. Über die nächsten zwanzig Jahre sollte sich der SMI, der sehr global ausgerichtet ist, deshalb mehr als verdoppeln.

Ist das nicht zu stark vereinfacht?
Natürlich sind das Durchschnittswerte, sie werden schwanken, aber in der langen Frist sind diese Wachstumsaussichten unseres Erachtens realistisch. Dies ist bedingt durch ein Bevölkerungswachstum vor allem aus den Schwellenländern und Produktivitätsfortschritte, die für zusätzliches Wachstum sorgen.

Schiessen Sie mit einem Anlagehorizont von zwanzig Jahren über das Ziel hinaus?
Keinesfalls. Die Anlagewelt ist kompliziert geworden. Es ist eine Utopie, den Markt in einem Jahr vorherzusagen. Als Ökonom traue ich mir zu, das Wirtschaftswachstum für zwei Quartale zu prognostizieren. Alles andere ist unmöglich. Investitionen sind langfristig zu betrachten, ansonsten ist das Volatilitätsrisiko zu gross.

Hat sich sonst noch etwas verändert?
Die Renditeerwartungen sind zurückgekommen. Anleger werden heute für dieselben Risiken weniger gut entschädigt. Aufgrund der niedrigen Zinsen wird das wohl auch so bleiben.

Werden wir konkret: Auf welche Aktienmärkte setzen Sie?
Derzeit sind wir in der Schweiz und in den USA übergewichtet. Beides sind defensive Märkte mit hohen Gewinnmargen. In den USA profitieren Investoren zudem von einem starken Technologiesektor.

Als Schweizer Anleger kaufe ich also Nestlé (NESN 107.48 0.67%), Novartis (NOVN 85.83 1.06%) und Roche (ROG 283.85 0.48%) und lasse sie zwanzig Jahre im Portfolio?
Das wäre uns zu wenig diversifiziert. Wir setzen unsere Anlagestrategie vor allem mit passiven Indexprodukten um. Gegenüber dem SMI scheint uns heute der Swiss Leader Index SLI interessanter. Hier werden die vier grössten Titel maximal mit 9% gewichtet. Damit reduzieren wir die Klumpenrisiken.

Entgeht Ihnen da nicht etwas, wenn Sie auf den Einsatz von Einzeltiteln verzichten?
Nein. Wir verzichten in unserem Portfolio ja nicht auf Aktienanlagen, sondern streuen nur unsere Risiken und setzen das Portfolio effizient um. Nur weil wir auf Indexprodukte setzen, sind wir nicht weniger aktiv. Zudem verwalten wir einen eigenen Schweizer Aktienfonds, dort setzen wir Sektorideen um.

Gibt es darin neben dem IT-Sektor noch andere spannende Branchen?
Uns gefallen der Bankensektor, Finanzdienstleister, Grundstoffe und Retailer.

Was spricht für den Bankensektor?
Der Hauptgrund, der für den europäischen Bankensektor spricht, sind die Zinserwartungen.

Können Sie das erläutern?
Die zehnjährigen Zinsen in Europa sind  unseres Erachtens heute zu tief. Sie sollten aufgrund einer wirtschaftlichen Erholung in einem Jahr auf einem höheren Niveau  sein als heute. Zwischen den Kursen von Bankaktien und zehnjährigen Zinsen gibt es eine klare Korrelation. Davon wollen wir profitieren.

Viele Anleger setzen auf Schwellenländer.
Wir sind untergewichtet. Der Markt besteht zu 70% aus China, Taiwan und Südkorea. Der Handelskrieg zwischen den USA und China belastet die gesamte Region. Die Gewinnerwartungen für 2019 sind gegenüber dem Jahresanfang 10% zurückgekommen. Wir gehen nicht von einer Entspannung im Jahr 2019 aus.

Gibt es sonst noch Regionen, die Sie untergewichten?
Ja, japanische Aktien. Der Markt schneidet in der Regel gut ab, wenn der Yen sich abschwächt. Das war zwischen 2012 und 2015 so. Dieser Trend wurde gebrochen. Seit 2017 hat der Yen zugelegt. Das belastet die Exportindustrie und somit den gesamten Markt.

Sie sprechen Währungen an. Aus der Optik eines Schweizer Anlegers sind Fremdwährungen doch vor allem ein Risiko?
Der grösste Teil, rund 75%, sollte in Franken investiert sein. Dazu kann es nötig sein, das Währungsrisiko ausländischer Investitionen abzusichern. Währungen sollten als eine separate Anlageklasse betrachtet werden.

Auf welche Fremdwährungen setzen Sie?
Wir mögen den Euro. Trotz der Zinssenkung der Europäischen Zentralbank ist der Druck auf den Franken ausgeblieben. Auch die Schweizerische Nationalbank interveniert nicht mehr so stark. Wir interpretieren das als Eurostärke. Ein Anstieg auf 1.15 Fr. ist durchaus möglich.

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