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10:35 Uhr - 21.07.2017

Lucy Earl: Ein Youtube-Star wider Erwarten

Mit simplen Englisch-Lernvideos ist die Britin Lucy Earl zur angesagten Youtuberin aufgestiegen. Alles hatte mit einem Kredit von 500 Pfund angefangen. 

Oft sind es nur kleine Details, die einen entlarven, Englisch nicht als Muttersprache zu parlieren. Wie war das schon wieder mit diesen Phrasal Verbs, deren Bedeutung hauptsächlich von der Präposition nach dem Verb abhängt? Und sagt man «watch» oder «see», wenn man derzeit die Tour de France im Fernsehen verfolgt? Und was, wenn ein britischer Gesprächspartner nicht sauberes Schulenglisch, sondern mit rustikalem nordenglischem Akzent spricht?

Bei solchen und ähnlichen Fragen hilft seit einigen Monaten eine junge Britin auf Youtube. Mehrmals pro Woche lädt die 23-Jährige aus der Universitätsstadt Cambridge mehrminütige Lernvideos auf die Videoplattform. Der Auftritt ist frisch und frech, die Titel der Videos entsprechen dem Zeitgeist. «Sieben Ausdrücke, um Fröhlichkeit auszudrücken» heisst es etwa, oder: «Fünf Wege, um sein Englisch tagtäglich zu verbessern.» Inzwischen gehört Lucy Earl mit ihrem Videokanal «English with Lucy» zu den angesagtesten Youtubern. In wenigen Tagen wird sie die Marke von 500 000 Followern knacken. Dies hat zumindest im Sprachlernbereich noch niemand zuvor derart schnell geschafft.

Zum Gespräch mit FuW in London sitzt Lucy in einem Pub gegenüber dem Youtube Space beim Bahnhof King’s Cross – dem von der Videoplattform geschaffenen Treffpunkt für Youtuber in London. Mit ihrem blonden Haar und dem knallroten Lippenstift ist sie nicht zu übersehen. Die viel beschäftigte Frau hat eine Stunde Zeit, bevor sie an einem Social-Media-Panel auftritt. Auch Youtube hat Lucy schon für Kurzvideos engagiert – so zum Thema, wie viel Persönliches man auf sozialen Netzwerken wirklich preisgeben soll. Ein Thema, das auch Lucy Earl beschäftigt.

«Als ich einmal meinen Namen googelte, führte ein Link zu einer Celebrity-Seite mit nackten Füssen, auf der auch meine zu sehen waren», sagt Lucy angewidert. Ein anderes Mal fand ein Stalker nicht nur ihre Adresse heraus, sondern auch ihre Telefonnummer. Seither lässt sie bei Videos das Geotagging weg, das Rückschlüsse auf den Drehort zulässt. Ansonsten überwiegen aber die positiven Erfahrungen. Ihre Abonnenten, die sie liebevoll Lucyfers nennt, geben ihre Tausende von «Likes», gewissermassen die Währung auf Youtube. Nur wer viel positives Feedback auf seine Videos erhält, ist als Werbeträger interessant und kann sich ein Auskommen sichern.

Lucy gehört inzwischen zur kleinen Minderheit von Youtubern, die von ihren Videos tatsächlich leben können. Die Filmchen kann jeder gratis anschauen, es gibt zwischendurch aber Werbespots für Online-Sprachdienstleistungen. Deren Anbieter honorieren sie dafür. «Ich werbe nur für Angebote, die ich selber getestet und für gut befunden habe», versichert Lucy Earl.

Angefangen hatte alles aus einer Laune heraus. Lucy sah sich an einem regnerischen Tag Englisch-Tutorials auf Youtube an und fand diese schrecklich langweilig. «Zu sehen, wie Wörter auf eine Wandtafel geschrieben werden, geht gar nicht. Man fühlte sich wie in einer dieser öden Schulstunden», sagt sie. Sie, die nach abgebrochener Marketing-Laufbahn eine Ausbildung als Sprachlehrerin machte, wollte bessere Videos machen. Sie nahm bei ihrem Vater, einem Geschäftsmann, einen Geschäftskredit auf. «500 Pfund drückte er mir in die Hand», sagt Lucy Earl. Damit kaufte sie sich eine Occasionsvideokamera sowie ein kleines Stativ. Dass sie die Kamera ohne Objektiv kaufte, bemerkte sie erst bei ihrem ersten Filmdreh – eine der Lektionen, die sie lernen musste.

Inzwischen wirken die Videos deutlich professioneller. Sie scheut sich auch nicht davor, am Ende ein paar Making-of-Szenen anzufügen, die ihre Verhaspler während den Aufnahmen zeigt. Der Drehort ist bei ihr zuhause. In einem der Zimmer (ZBH 129.47 -1.22%) hat sie eine kleine Ecke eingerichtet, wo sie jeweils einmal pro Woche mehrere Videos abdreht.

Übrigens, den Kredit, den sie von ihrem Vater erhalten hatte, hat sie auf Pfund und Pence genau zurückbezahlt. «Inklusive Zinsen», wie sie anfügt. Darauf ist sie am meisten stolz.

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