Carmen Reinhart, Professorin an der Harvard Kennedy School, warnt vor Bankpleiten, einem Knall im CLO-Markt und den Auswirkungen einer Krise in China.
Sie scheut sich nicht, anzuecken, und nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Harvard-Professorin Carmen Reinhart hat schon mit ihrem Bestseller «This Time is Different», den sie zusammen mit ihrem Kollegen Kenneth Rogoff geschrieben hat, für Aufsehen gesorgt. Kaum jemand hat die Mechanismen einer Finanzkrise so gut erklärt wie die beiden.
Am Rande des Amundi Global Forum in Paris hat sich Reinhart Zeit genommen, mit «Finanz und Wirtschaft» über die möglichen Auslöser der nächsten Finanzkrise, Rezessionsängste und die Gründe, warum auf Banken wohl noch schwerere Zeiten zukommen, zu sprechen.
Frau Reinhart, Sie sollen jüngst die starke Verlangsamung bzw. eine Rezession der chinesischen Wirtschaft als Albtraum für die Weltwirtschaft bezeichnet haben. Wäre das wirklich so schlimm?
Vielleicht kein Albtraum, aber auf jeden Fall ganz, ganz schlechte Nachrichten. Wir unterschätzen noch immer, wie gross der globale Fussabdruck Chinas ist. Da ist einmal der direkte Einfluss auf all die Rohstoffproduzenten und Rohstoffmärkte. Die grossen Rohstoffstaaten in Afrika und Lateinamerika hängen direkt an China. In Asien ist China der grösste Handelspartner der meisten Länder. Nach den USA hat es zudem den weltweit grössten Anteil am Bruttoinlandprodukt. Stark unterschätzt wird die Rolle Chinas auch, wenn es um die Entwicklung und die Finanzierung von Entwicklungsländern geht. Wenn diese Investitionen einmal austrocknen, sind die Folgen enorm. Und wenn ich mir die Lage in China im Moment so anschaue, dann sieht das nicht nach den offiziellen 6% Wachstum aus.
Genau das ist das Problem. Die offiziellen Wachstumszahlen sind wohl falsch. Es gibt Analysten, die sagen, China wachse kaum mehr. Wenn wir noch die Auswirkungen des Handelskriegs dazunehmen, scheint gar eine Rezession nicht mehr undenkbar.
Ich habe für China und übrigens auch für die USA lange angenommen, dass es ganz bestimmt ohne Rezession vorübergeht. Im Moment schwanke ich ein wenig. Aus dem Lager von Donald Trump kommt immer mehr Ungemach, und das drückt, zusammen mit der Unsicherheit, was die US-Notenbank machen wird, den Optimismus. Ich glaube dennoch weiterhin, dass es keine Rezession gibt, weder in den USA noch in China. In China wird die Verlangsamung jedoch markant. Was die Geldpolitik angeht, hat China kaum mehr Spielraum. Das war 2008 anders. Wenn die Volksrepublik jetzt über die Geldpolitik agieren würde, würde der Renminbi schwächer, und Kapital würde aus China abgezogen. Das drückt auf die Zuversicht und würde den Handelskrieg noch stärker ins Zentrum rücken. Also bleiben nur noch steuerliche Anreize.
Und die allein reichen, um eine Rezession zu vermeiden?
Privathaushalte und die Fiskalpolitik helfen und schaffen Ausgleich zu den Schwierigkeiten im Unternehmensbereich und zu den externen Faktoren. Deshalb rechne ich nicht mit einer Rezession in China.
In den USA rechnen Sie auch nicht mit einer Rezession. Weil es gelte, die Wirtschaft in Schwung zu halten, sagen viele Strategen drei oder gar vier Zinssenkungen des Fed noch vor Ende Jahr voraus. Der richtige Weg?
Drei bis vier, das scheint mir ziemlich viel. Doch ja, der Markt hat schon zwei oder drei Zinssenkungen eingerechnet. Die Märkte sehen allerdings immer genau das, was sie sehen wollen. Wir vergessen, dass die Arbeitslosenrate – trotz jüngst eher schwacher Arbeitsmarktdaten – so niedrig liegt wie zuletzt in den Sechzigerjahren. Die Inflationserwartung ist überschaubar. Die Märkte haben sich so schön daran gewöhnt, dass die Notenbank mit ihren Fed-Puts die Wirtschaft in Schwung bringt. Das ist auch dieses Mal die Erwartung. Je mehr schlechte Nachrichten wir aus dem Weissen Haus kriegen, desto grösser wird die Unsicherheit und desto stärker die Versuchung für das Fed, sozusagen vorbeugend die Zinsen zu senken.
Was wären das denn für schlechte Nachrichten aus dem Weissen Haus?
Rückschläge bzw. ein Stillstand in den Verhandlungen mit China, ein lang anhaltender Handelskrieg ohne Lösungsansatz und wenig produktive Gespräche. Was helfen könnte, ist der Wahlkampf. Präsident Trump weiss, dass er gute Nachrichten liefern muss. Das Fed wird sich das alles genau anschauen. Eine recht grosse Zahl von Analysten hatte schon vor dem G-20-Treffen mit einer Zinssenkung gerechnet. Diese blieb aus.
In Ihrem Buch «This Time is Different» stellen Sie fest, dass die gewieftesten Akteure oft daran glauben, dieses Mal sei alles anders, und die Regeln der Vergangenheit gälten nicht. Was ist dieses Mal gefährlich, was wir heute noch völlig unterschätzen?
Da gibt es zwei wichtige Bereiche. Erstens die Exzesse im Unternehmenssegment.
Sprechen Sie damit den exzessiven Aufbau von Schulden an?
Ja, und dort vor allem die Qualität dieser Schulden. Das hat das Fed im Financial Stability Report klar unterstrichen. Im Segment der Credit Loan Obligations ist das ganz besonders eine Gefahr. Sogar konservative Finanzinstitute wie japanische Landwirtschaftsbanken kaufen in grossem Stil CLO, um Rendite zu erzielen. Genau das war auch vor der Krise 2007/2008 passiert, und zwar im Segment der Mortgage Backed Securities. Zweitens scheinen Haushaltsdefizite und Schulden keine Rolle mehr zu spielen. Die Regeln haben sich geändert, denken viele.
Sie haben die grosse Gefahr im CLO-Markt angesprochen. Was würde denn passieren, wenn die Blase platzt? Eine Finanzkrise im Ausmass von 2007/2008?
Wenn die CLO-Blase platzt, wären mehr zahlungsunfähige Unternehmen die Folge. Das würde sich negativ auf die Aktienmärkte auswirken und die Zuversicht sowie Investitionen beeinträchtigen. Keine guten Aussichten. Würde es so schlimm wie 2007/2008? Wahrscheinlich nicht. Mortgage Backed Securities waren direkt an Privathaushalte gebunden. Das betraf rund 70% des Bruttoinlandprodukts. Dennoch darf man das Problem nicht unterschätzen. Die internationalen Folgen in Japan und auch in Europa, wo CLO im Aufwind sind, wären beträchtlich.
Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass es eine CLO-Krise gibt?
Falls die US-Notenbank die Märkte enttäuscht – sprich, die Zinsen nicht so stark senkt wie erhofft –, wird der CLO-Markt leiden. Der Markt steht und fällt mit den Kreditrisiken. Wenn die Liquidität sinkt, dann kann das ein Auslöser sein.
Die Europäische Zentralbank und die Schweizerische Nationalbank haben im Gegensatz zum Fed kaum geldpolitischen Spielraum. Die SNB (SNBN 5420 -0.37%) hat signalisiert, dass sie die Leitzinsen weiter senken könnte. Eine gute Idee?
Ich mache mir grosse Sorgen, welche Wirkung noch tiefer unter null liegende Zinsen ganz besonders auf die Banken haben würden. Wer die Bilanz des Fed genau studiert, dem fällt auf, dass europäische Banken immer mehr Geld beim Fed deponieren. Das ist lukrativer, als Kredite zu vergeben. Negativzinsen verhindern ein gut laufendes Bankgeschäft. Das ist ein Risiko. Ein weiteres Risiko ist die Altersvorsorge. Mit einer alternden Bevölkerung wird das Problem noch schärfer. Es wird schwer werden, die Vorsorge wie geplant beizubehalten. Noch tiefer im Minus liegende Zinsen würden das verstärken.
Europäische Banken sind ohnehin schon ausser Form. Rechnen Sie mit weiteren Bankpleiten, und wenn ja, wo?
Am offensichtlichsten sind die italienischen Banken, wo so ganz diskret nebenbei immer mal wieder eine scheitert. Doch nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland gibt es Probleme. Wenn wir die Zinsen in einem Umfeld langsameren Wachstums tatsächlich weiter senken, dann ist das kontraproduktiv. Es wird Fiskalkosten geben, um den in Schwierigkeiten geratenen Banken zu helfen.
Die Banken wüschen sich seit geraumer Zeit höhere Zinsen, um genau das zu vermeiden.
Ja, doch das ist im Moment vom Tisch. Deshalb werden sich die Probleme der Banken verstärken, einige dürften ohne staatliche Unterstützung nicht auskommen. Wir haben keine Ahnung, wann die Zinsen wieder höher sein werden. Deshalb ist es fast unmöglich, bullish für europäische Banken zu sein. Eine Überraschung ist das jedoch nicht. Europa hängt stark an den Banken, da der Kapitalmarkt nicht so ausgeprägt ist wie in den USA. Dennoch gehen viele Unternehmen anderswo hin, wenn sie Kapital brauchen, etwa nach China im Fall der Schifffahrtsbranche.
Die Zentralbanken haben traditionell ein Inflationsziel von 2%. Ist das noch zeitgemäss?
John Williams von der Fed New York hat darauf hingewiesen, dass ein höheres Inflationsziel möglicherweise die bessere Lösung wäre – nicht zuletzt um genügend Munition zu haben, wenn die Wirtschaft Stimulus durch Zinssenkungen braucht. In der Vergangenheit waren das im Durchschnitt 500 bis 600 Basispunkte. 2% Inflationsziel halten die Zinsen zu nahe am Nullpunkt. Doch in einem Umfeld, wie wir es jetzt haben, ist es kaum glaubwürdig, das Inflationsziel zu erhöhen. Das Inflationsziel per se dürfte an Bedeutung verlieren. Das könnte bedeuten, dass man vermehrt mit langjährigen Durchschnitten oder mit einem Preislevel arbeitet.
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