Zurück zur Übersicht
15:22 Uhr - 11.03.2015

«Griechenland wird es sehr schwer haben»

John Greenwood, Chefökonom von Invesco, sieht im Eurosystem mittlerweile zu viele Mitglieder, die eigentlich nicht dabei sein dürften. Ein Interview mit der FuW

Herr Greenwood, Griechenland hat vier Monate mehr Zeit erhalten, um sich mit den Gläubigern zu einigen. Ist ein Grexit damit vom Tisch?
Es geht um zwei Kernfragen. Erstens, wie werden die Operationen der Regierung finanziert, und zweitens, wie werden die griechischen Banken finanziert, die täglich grosse Mittelabflüsse erleiden? Das lässt sich aus dem internen Zahlungsverkehr der Zentralbanken des Eurosystems, Target2 genannt, ablesen. So kommt die Deutsche Bundesbank derzeit auf Target2-Forderungen von über 500 Mrd. € .

Zur PersonJohn Greenwood ist Chefökonom von Invesco. zoom Bild: ZVG]Geld aus Griechenland?
Die Statistik zeigt zumindest die Richtung der Geldflüsse von Griechenland in andere Euroländer.

Tickt im Target2-System eine Zeitbombe?
Das Target2-System setzt voraus, dass alle beteiligten Geschäftsbanken solvent sind. Da stellt sich die Frage, ob die griechischen Banken ihren Verpflichtungen nachkommen können.

Was ist Ihre Einschätzung?
Es gibt grosse Unterschiede im Produktivitätswachstum in der Eurozone. In Nordeuropa wächst die Produktivität jährlich um 1,5 bis 2%. Südeuropa kommt da nicht mit. Wenn die Südländer schon nicht eine eigene Währung abwerten können, müsste es alternativ eine implizite Garantie geben, also einen Subventions- oder Unterstützungsmechanismus. Abgesehen vom kleinen Strukturfondsprogramm gibt es das im Eurosystem aber nicht.

zoomMit dem reichen Norden ist eine solche Solidarhilfe nicht zu verwirklichen, Griechenland wird es schwer haben.
Ja. Ich bin deshalb auch schon scharf kritisiert worden, als ich vor Jahren die Prognose wagte, dass Griechenland letztlich aus der Währungsunion austreten muss. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hellas im Eurosystem bestehen kann. Es hat sich nichts zum Besseren verändert. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der Enttäuschung der Bevölkerung hat das Land nun eine politisch extremere Regierung.

Könnte die Eurozone den Austritt Griechenlands verkraften?
Das Eurosystem hat zu viele Mitgliedländer, die nicht dabei sein dürften, als dass es sinnvoll funktionieren könnte. Einzelne Mitglieder haben einen hohen Tribut geleistet. So hat etwa Italien die Euromitgliedschaft mit einer Dekade von Nullwachstum bezahlt. Wahrscheinlich wird die Eurozone auch ohne Griechenland bestehen bleiben. Aber auch in anderen Ländern könnten radikalere Regierungen gewählt werden, etwa in Spanien.

Sehen Sie Spanien als gefährdet an?
Auch dort gibt es Unzufriedenheit. Es wurden aber viel mehr Reformen als in Griechenland angestossen. Die Wirtschaft wächst wieder, die Kosten wurden gesenkt, die Exporteure sind wettbewerbsfähiger geworden.

Wenn wir schon bei den Exporteuren sind: In der Schweiz haben sie mit dem Wegfall der Eurountergrenze Mitte Januar durch die Frankenaufwertung an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Wie beurteilen Sie diesen überraschenden Schritt der SNB (SNBN 1026 -0.77%)?
Fundamentale Aufgabe der Schweizer Geldpolitik ist es, die Kaufkraft des Frankens zu erhalten. Eine grosse Abwertung kommt demnach nicht in Frage. Seit Sommer ist der Euro zum Dollar gefallen, von über 1.35 auf 1.14 $/€, und er kann im Zuge des neuen Anleihenkaufprogramms der EZB noch tiefer gehen. Es war also sinnvoll, dass die SNB die Untergrenze zum Euro aufgehoben hat.

Viele Ökonomen sehen den fairen Wechselkurs bei 1.10 Fr./€. Das wäre eine 10%ige Aufwertung seit Januar.
Zwei Dinge gilt es zu unterscheiden: erstens den richtigen Kurs aus Sicht des Aussenhandels und der Wettbewerbsfähigkeit. Zweitens muss man sich fragen, wie der Wechselkurs auf die Geldpolitik wirkt. Die Verteidigung des Mindestkurses erforderte Interventionen der SNB, die erheblich Franken schufen, mit denen die Fremdwährungen bezahlt wurden.

Hat diese Frankenflut bereits zu einer gefährlichen Erhöhung von Geldmenge und Kreditvergabe in der Schweiz geführt?
Noch nicht. Aber wären die Interventionen fortgesetzt worden, befänden wir uns vielleicht wieder in einer Situation wie in den späten Siebzigerjahren: eine  Periode mit starkem Geldmengen- und  Kreditwachstum, die dann in Inflation mündet. Das wollte die SNB vermeiden. So gesehen war die Freigabe des Wechselkurses das kleinere Übel, und die SNB begann ihre Geldpolitik nicht zu kompromittieren.

EZB und SNB lockern, das Fed ist auf dem Weg der Normalisierung der Geldpolitik. Die Renditedifferenz zwischen den USA und Europa wächst. Gibt es eine Obergrenze?
Wer das glaubt, geht davon aus, dass sich die Geldpolitik an der Höhe der Zinsen messen lässt.

Sehen Sie das anders?
Ich kann nur warnen. Das Fed mag die Zinsen erhöhen, das heisst aber nicht, dass es auch die monetären Zügel strafft.

Können Sie das etwas ausführen?
Die jährliche Kreditvergabe der US-Banken hatte von Ende 2008 bis Mitte 2011 abgenommen, weil Risiko abgebaut werden musste. Ab 2011 stieg sie erst langsam und ab 2014 deutlich schneller, auf derzeit 8 bis 9%. Und das, obwohl das Fed sein Quantitative Easing, QE3, nun langsam abbaut und die Fed-Bilanz kaum noch wächst. Auf der anderen Seite der Bankbilanzen wachsen die von den Unternehmen und den privaten Haushalten gehaltenen Barmittel und Sichteinlagen derzeit aber mit 6 bis 7%. Das Geldmengenwachstum ist also nicht restriktiv.

Das Geld kommt in der Realwirtschaft an.
Das Fed braucht nicht mehr Liquidität zur Verfügung zu stellen, der Kreditmotor läuft wieder von allein. In der Gegenüberstellung der Bilanzpositionen erkennt man viel besser, ob die Geldpolitik expansiv oder restriktiv ist, als an der Höhe der Zinsen. Wenn das Fed in der jetzigen Verfassung der US-Wirtschaft die Zinsen normalisiert, ist das in Ordnung.

Die expansive Geldpolitik des Fed hat – wenn auch verzögert – gewirkt. Europa ist noch nicht so weit?
In der Eurozone haben wir sehr wenig oder negatives Kreditwachstum. Draghi hat mit seiner bisherigen Geldpolitik den Anschub noch nicht geschafft. Seit Mitte 2012 vergeben die Banken in der Eurozone immer weniger Kredite.

Was muss Draghi mit dem neuen Anleihenkaufprogramm besser machen?
Die EZB-Ausleihungen gingen direkt an die Banken, und die benutzten die Liquidität, um Kreditkosten zu senken und Risiko abzubauen. Die bisherigen Operationen der EZB waren nur Asset Swaps, die keinen volkswirtschaftlichen Effekt haben, wenn die Banken risikoavers sind. Damit ein QE wirken kann, müssen zwei Regeln beachtet werden: Es müssen lang laufende Wertpapiere gekauft werden. Das wirkt für die Investitionen der Realwirtschaft besser als die Vergabe billiger kurzfristiger Kredite. Zweitens sollte Draghi Anleihen von Nichtbanken kaufen, also von Fonds, Versicherungen, Pensionskassen – nicht von Banken.

Driftet China in die Deflation?
Chinas Wirtschaft, die Geldmenge und die Kreditvergabe wachsen langsamer. Der Erzeugerpreisindex sinkt seit zwei Jahren. Der Verbraucherpreisindex ist sehr niedrig. Wenn die Zentralbank die Geldpolitik nicht lockern würde, wäre die deflationäre Gefahr sehr ernst. Die Zentralbank hat aber schon viel getan. Sie hat den Geldmarkt um 600 Mrd. Yuan aufgestockt, die Leitzinsen gesenkt, die Direktausleihungen an die Geschäftsbanken erhöht und die Reserveverpflichtungen gelockert.

Dennoch haben sich Geldmengen- und Kreditwachstum eher noch verschlechtert.
Die Exportüberschüsse haben sich quasi auf das Normalmass verringert, das ist in Ordnung. Es fliesst aber immer mehr Kapital aus China ab. Bei unverändertem  Wechselkurs müssen diese Abflüsse aus den Währungsreserven finanziert werden. Wenn also die People’s Bank of China Dollar gegen Yuan verkauft, wirkt dies kontraktiv. Die Geldpolitik wird unfreiwillig gestrafft. Das ist ein Problem.

Wie sollen sich Anleger strategisch positionieren?
Staatsanleihen untergewichten und sich auf Risikoanlagen konzentrieren, etwa Aktien von Unternehmen mit einer attraktiven Dividende oder Immobilien, die eine Rendite abwerfen. Der Schwerpunkt sollte weiter auf der Fähigkeit liegen, regelmässige Ertrag zu generieren, da die Verzinsung von Bargeld sehr niedrig bleiben wird. In den USA wird der steigende Dollar die internationalen Unternehmen belasten, während sich binnenwirtschaftlich orientierte und kleinere Gesellschaften erholen dürften. In der Eurozone werden sich die auf den Heimatmarkt fokussierten Unternehmen damit schwertun, zu wachsen, während international ausgerichtete Gesellschaften vom schwächeren Euro profitieren sollten.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.