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10:08 Uhr - 23.03.2017

«Aufpreis für US-Aktien ist gerechtfertigt»

Luiz Pinto-Coelho, Chefstratege der Bank Gutzwiller, setzt auf eine neue Dynamik in den USA und stört sich daran, dass es Europa an Vertrauen in die Zukunft mangelt.

Herr Pinto-Coelho, vor einem Jahr äusserten Sie sich im Mittwochsinterview zurückhaltend. Sie empfahlen 30% Aktien im ausgewogenen und 40% im Wachstumsmodell, dazu je 20% Cash und 10% Gold (Gold 1248.15 0.18%). Waren Sie zu vorsichtig?
Für den europäischen Aktienmarkt nicht, der schloss 2016 wenig verändert. Gleiches in Asien. Auch die US-Börsen bewegten sich bis zum Wahlsieg von Donald Trump wenig. Gold steigerte seinen Wert, und mit Cash konnte man mindestens nichts falsch machen. Im Herbst erhöhten wir dann im Wachstumsmodell die Aktienquote auf 60%, denn ob 30 oder 40%, macht bei verhaltenem Kursverlauf, wie es letztes Jahr über weite Strecken der Fall war, keinen grossen Unterschied.

Im ausgewogenen Portfolio sind Sie bei 30% Aktien geblieben, trotz oder wegen der starken Börsen?
Es ist die konservative Strategie. Vergessen wir nicht, dass die Börsen zuletzt stark von der politischen Agenda getrieben wurden, von den wirtschaftspolitischen Absichten Donald Trumps. Noch hat er seine Versprechen – Steuersenkungen, Infrastrukturprogramme, Deregulierung – nicht oder erst zum Teil konkretisiert. Es bleibt abzuwarten, was die Wirkung sein wird. Daneben gibt es viele Unsicherheiten: die Wahlen in Europa, das Verhältnis zu Russland, Nahost, Flüchtlingsströme, Inflation und die Frage, wie stark die US-Notenbank in diesem Jahr noch an der Zinsschraube drehen wird. Das lässt eine gewisse Zurückhaltung angeraten erscheinen, obschon ich insgesamt zuversichtlicher bin als vor einem Jahr.

Mit welcher Marktentwicklung rechnen Sie?
Anders als im Euroraum wird es in den USA weitere Zinserhöhungen geben, was den Dollar stärkt, ausser, die US-Notenbank geht zu forsch vor, was ich aber nicht annehme. Am Bondmarkt ist eine Korrektur nach der starken Überbewertung wahrscheinlich, ohne dass grössere Auswirkungen auf die übrigen Anlagen zu befürchten sind. Einen Bondcrash sehe ich nicht. Die Aktienmärkte haben noch Luft nach oben. Ich wäre nicht überrascht, wenn sie Ende Jahr nochmals ein Stück höher notierten als heute.

Weiterhin raten Sie zu 10% Gold, weshalb?
Gold verstehen wir als Versicherung und nicht als Ertragsquelle. Bei der Krankenversicherung hofft auch niemand, krank zu werden, und ist froh, für den Fall der Fälle abgesichert zu sein.

Was könnte die Märkte zu Fall bringen?
Mein Augenmerk richtet sich vor allem auf Europa und die geopolitische Lage. Wie mit Russland umgehen? Wie mit der Immigration, die Europa stärker betrifft als die USA, wie geht es in der Türkei, wie in Nahost weiter? Europa ist politisch und wirtschaftlich verletzlicher als die USA. Was wirklich gefährlich sein könnte, wäre ein zu starker Zinsanstieg, der ein Liquiditätsproblem verursachen würde. Der US-Notenbank traue ich allerdings genügend Augenmass zu, um dieses Risiko zu vermeiden.

Für welche Investoren und welches Umfeld ist das Wachstumsmodell gedacht?
Für Anleger, die bereit und fähig sind, zugunsten besserer Ertragschancen mehr Risiko und höhere Volatilität in Kauf zu nehmen. Die Aussichten sind positiv, wovon auch das ausgewogene Depot profitiert. Seit Anfang Jahr hat es den Wert 1,9% gesteigert, das Wachstumsmodell hat 3,4% gewonnen. Die stärkere Differenzierung der beiden Strategien macht sich bezahlt.

Was nährt die Zuversicht?
Die US-Wirtschaft hat Tritt gefasst und wird zusätzlich durch die wirtschaftsfreundliche Politik des neuen Präsidenten unterstützt werden. Das verleiht den USA ein starkes Momentum, was auf andere Regionen und Märkte abstrahlt. Die gute Konjunktur und die Rückkehr der Inflation werden die US-Notenbank zu weiteren Zinserhöhungen zwingen. Wenn sich ihr Kurs verschärft, kann das die Märkte verunsichern. Aber letztlich handelt es sich um das Zurück zur Normalität, deshalb wird es auch aus Marktsicht begrüsst.

Und die Trump-Rally, dauert sie an?
Man mag sich an Trumps ruppiger Art stören, aber eines muss man ihm lassen: Er bringt Bewegung in Amerikas Wirtschaft und Politik, er schafft ein unternehmerfreundlicheres Klima. Trump ist einer  der wenigen Politiker, die liefern, was sie versprochen haben. Das schafft Visibilität, was die Finanzmärkte schätzen.

Wer soll Trumps Wirtschaftsprogramm finanzieren? Kann sich Amerika höhere Schulden und Inflation leisten?
Ich glaube nicht, dass das Programm die USA überfordert. Die Inflation wird etwas steigen, aber niedrigere Unternehmenssteuern, eine bessere Infrastruktur und eine entschlackte Regulierung sind klar wachstumsfördernd. Höhere Schulden sind unter diesen Umständen tragbar, könnten jedoch kurzfristig den Dollar schwächen, was der Konjunktur wiederum helfen würde.

Trump will Handelsbarrieren errichten.
Den globalen Handel einzuschränken, ist gefährlich. Doch wer sagt, dass Trump das will? Er will nur die Position von Amerika stärken, und wenn es Amerika gut geht, profitiert die ganze Welt. Die USA sind noch immer die grösste Wirtschaft der Welt und sind in vielen Belangen führend. Wir ziehen weiterhin US-Aktien den europäischen vor.

Sind US-Aktien nicht zu teuer?
Der US-Markt ist mit einem KGV von rund 22 bewertet. Beschleunigt sich das wirtschaftliche Wachstum wie erwartet, sinkt das KGV bis Ende Jahr gegen 18. Das ist zwar immer noch nicht billig und höher als Europa mit einem KGV von 15, aber mit Blick auf den wiedergefundenen konjunkturellen Schwung gerechtfertigt. Amerika verdient eine Vertrauensprämie, während in Europa dieses Vertrauen, der Glaube an eine bessere Zukunft, fehlt, und das leider zu Recht. Nehmen wir die Banken: Während der Bankensektor in den USA so stark ist wie noch nie, kämpfen europäische Institute noch immer mit den Altlasten aus der Finanzkrise. Das ist für uns ein Grund, europäische Bankvaloren zu meiden. Europa hat ein Vertrauensproblem, was sich am Finanzmarkt spiegelt.

Was werden die Wahlen in Europa bewirken?
Nicht viel, weder positiv noch negativ. Die populistischen Parteien werden Stimmen gewinnen, aber nicht die Mehrheit.

Ist der Euro in Gefahr?
Nein, er wird die politischen Turbulenzen überstehen. Geht es Spitz auf Spitz, werden die Länder für Europa kämpfen. Niemandem würde es nützen, wenn der Euro unterginge. Er ist das Herzstück. Wenn er verschwindet, geht alles andere, was Europa verbindet, verloren.

Was raten Sie der Schweizerischen Nationalbank im Kampf gegen die Frankenstärke?
Sie soll bei schockartigen Ereignissen intervenieren, aber nicht gegen die graduelle Frankenstärke kämpfen. Sie könnte den Negativzins verschärfen, doch glaube ich nicht, dass dies nötig wird. Die Zinsdifferenz wird auch so grösser, weil sich das globale Zinsniveau allmählich nach oben bewegt. Und eine feste Währung hat der Schweiz schon immer geholfen und sie stark gemacht.

Die Schweizer Börse hält seit Anfang Jahr mit den USA mit. Wie geht es weiter?
Letztes Jahr lag sie noch hinter Europa, diesen Rückstand macht sie jetzt wett und wird sich weiterhin freundlich präsentieren. Schweizer Unternehmen sind weltweit stark vertreten und profitieren vom globalen Wirtschaftsaufschwung. Im Wachstumsmodell gewichten wir die Schweiz mit 20%, höher als die USA.

Wo sonst noch setzen Sie Akzente?
Gute Chancen räumen wir auch japanischen Unternehmen ein. Sie haben sich stark verbessert. Japan ist das Powerhouse für Investitionsgüter in Asien.

Setzt sich die Rotation von defensiven in zyklische Werte fort, und wie stark profitiert die Schweiz davon, deren grosse Titel eher defensiver Natur sind?
Für uns und viele andere Investoren gibt nicht die Sektorzugehörigkeit den Ausschlag, sondern die Qualität eines Unternehmens. Da muss sich die Schweiz nicht verstärken. Wir investieren in erstklassigen Aktien, defensiv und zyklisch, mit einem Hang zu defensivem Wachstum, wofür Pharma ein klassisches Beispiel ist, mit Roche (ROG 251 0.32%) als einem unserer aktuellen Favoriten. Wir mögen Aktien, die sich ohne übermässige Schwankungen über die Zeit solide nach oben bewegen. Kurzfristig schwingen zyklische Titel obenaus, auf Dauer entwickelt sich ein diversifiziertes Portfolio mit erster Qualität aus unterschiedlichen Regionen und Sektoren deutlich besser.

Was favorisiert Gutzwiller ausser Roche?
Alphabet und Apple (AAPL 141.42 1.13%) sind zwei Beispiele aus den USA. Zu den Aktien aus Europa, die wir mögen, gehören SAP (SAP 90.17 -0.36%), MTU, Daimler (DAI 70.11 0.3%), Inditex (ITX 31.93 0.38%), Essilor (EI 111.65 -0.09%) und LVMH (MC 214.3 -0.23%).

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