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16:02 Uhr - 17.03.2015

«Die Aktienfavoriten heissen Europa und Japan»

Luiz Pinto-Coelho, Investmentstratege und GL-Mitglied der Privatbank E. Gutzwiller, sieht Europas Wirtschaft wachsen, hält aber an einer hohen Cashquote fest. Ein Interview mit der FuW.

Herr Pinto-Coelho, wird das Quantitative Easing, das Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank, funktionieren und die Wirtschaft beleben?
Oh ja, es wird. Das Programm ist gigantisch und auf lange Zeit ausgelegt. Bis September 2016 kauft die EZB monatlich für 60 Mrd. € nicht nur private, sondern erstmals auch institutionelle, also staatliche Anleihen. Das hat grossen Einfluss auf die Zinsen, die niedrig bleiben. Der Privatkonsum wird so stimuliert, und im Sog davon sollten auch die Unternehmensinvestitionen steigen. Hinzu kommen die markant tieferen Ölpreise und der schwache Euro. Wie man anhand von jüngsten Daten sieht, hat die Konjunktur in Europa bereits angezogen.

[info 2]Kritiker sagen, ein früheres Handeln, wie in den USA, hätte mehr Wirkung erzeugt.
Nein, abgesehen davon, dass früher gar nicht möglich war, weil es für das Programm das Einverständnis aller Euroländer brauchte. Jetzt kommen wie erwähnt begünstigende Faktoren dazu. Die Euroschwäche und auf der Gegenseite der starke Dollar helfen nicht nur der europäischen Exportwirtschaft. Sie helfen mittelfristig der EZB, dem Inflationsziel von 2% näher zu kommen.

Europas QE wird gleich erfolgreich sein wie das in den USA, wo die Konjunktur wieder in Schwung gekommen ist?
Es wird die Konjunktur zumindest in Fahrt bringen, denn vom Umfang her ist es ähnlich gross wie das Impulsprogramm der USA, das 7,5% des Bruttosozialprodukts entsprach, und dasjenige von Grossbritannien. Beide Volkswirtschaften sind im Konjunkturzyklus inzwischen voraus. Selbst in Japan, wo man sich für einen ähnlichen Schritt entschieden hat, geht es langsam wieder aufwärts.

Der Unterschied könnte sein, dass im Euroland immer wieder Krisen aufflackern. Die Sache mit Griechenland ist noch nicht gegessen. Wie stark belastet das nicht nur die Stimmung, sondern auch das wirtschaftliche Fundament im Euroland?
Für die Wirtschaft ist Griechenland mit weniger als 2% des BIP im Euroland unbedeutend. Für die Stimmung ja, doch halte ich die Sache für weniger gefährlich, als sie scheint. Die europäischen Banken haben ihre Griechenlandanleihen von 200 Mrd. € im Jahr 2009 auf 45 Mrd. im letzten Jahr massiv reduziert. Ein Grexit, ein Austritt aus dem Euro, wäre für Griechenland selbst eine grosse Katastrophe, das weiss auch die Regierung: Die Banken würden  kollabieren, die neue Währung abstürzen,  Hyperinflation entstünde,  Rentenguthaben gingen verloren usw. Dieses Szenario hat abschreckende Wirkung, auch für andere Länder wie Spanien, Portugal und Italien. Die Solidarität in der Eurozone wird dadurch eher noch stärker. Wenn ich mir um Europa Sorgen mache, dann ist es Österreich.

Das müssen Sie erklären.
Das Stichwort heisst Hypo Alpe Adria Bank. Das Bundesland Kärnten kann die Last der insolventen Bank nicht tragen, und der österreichische Staat weist trotz staatlicher Garantien jede Verantwortung von sich. Die Spur führt weiter nach Deutschland, wo allein die Bayerische Landesbank als frühere Eigentümerin des Kärntner Instituts 2,3 Mrd. € abschreiben müsste. In Irland hat der Staat versucht, für die Banken einzustehen. Nicht so bis jetzt bei der Hypo Alpe. Wenn sich die Krise ausweitet, hat Europa ein neues Schlamassel. Davon wird noch wenig gesprochen.

Welche Impulse verleiht der schwache Euro der europäischen Wirtschaft?
Sehr starke, denn in unseren Augen hat der Euro unterschossen, während der Dollar immer teurer wird. Davon profitiert namentlich Exportweltmeister Deutschland und im Sog davon der ganze Kontinent, bestimmt Frankreich und Italien. Weniger die Schweiz und Grossbritannien, deren Währungen ihrerseits stark sind.

Ist eine Wende, oder wenigstens der Boden, für den Euro in Sicht?
Solange das EZB-Programm läuft, bleibt der Euro tendenziell geschwächt. Aber die EZB kann früher aus dem QE aussteigen, falls die Bedingungen dazu erfüllt sind, und der Dollar hat uns gelehrt, dass eine  Währung sich schon vor Ende des QE erholen kann. Ich wäre deshalb nicht überrascht, wenn sich der Euro noch in diesem Jahr stabilisieren würde.

Auch gegenüber dem Franken?
Absolut, zumal die SNB (SNBN 1020 -0.87%) auch nach der Aufgabe des Mindestkurses bei Bedarf am Devisenmarkt interveniert und einen Wechselkurs von 1.05 bis 1.10 Fr./€ anzustreben scheint. Dieses Niveau würde die  Schweiz, die eine Kultur der starken Währung hat, nach Anpassungen, wie sie jetzt die Unternehmen vornehmen, verkraften – zumal der Dollar auch gegenüber dem Franken an Wert gewonnen hat, die Schweizer Exportindustrie hat also nicht alle Währungen gegen sich.

Europas Börsen ziehen wieder Kapital an. Eben hat der Dax 12 000 übersprungen.  Ist Euroland, ist Deutschland auch für Gutzwiller ein Muss?
Absolut, aus Franken- und Dollarsicht allerdings vorläufig noch mit Währungsabsicherung, wobei es nicht unbedingt nur Deutschland sein muss. Im Euroland schauen wir uns neben den Big Caps auch Aktien kleinerer und mittelgrosser Unternehmen an, die vom erwarteten Aufschwung des Binnenmarktes profitieren.

Und der Schweizer Aktienmarkt?
Für Schweizer und Ausländer auch aus  Währungssicht ein Muss. Wegen ihrer Sicherheit, der politischen Stabilität und des festen Frankens zieht die Schweiz weiterhin viel Kapital an, wovon ein guter Teil an die Börse fliesst, vornehmlich in die bekannten Large Caps. Die grossen Konzerne sind Währungsfluktuationen gewohnt und können sie dank ihrer globalen Positionierung und Diversifikation gut abfedern.

Was mögen Sie sonst?
Neben der Schweiz  und Euroland favorisieren wir Japan. Die Gründe sind grosso modo gleich wie für Europa: Nachdem die Bank von Japan ihre quantitative Lockerung nochmals verstärkt hat, regt sich auch das japanische Wachstum. Als Wirtschaft, die 90% der Grundstoffe aus dem Ausland bezieht, profitiert das Land enorm von den gesunkenen Energie- und Rohstoffpreisen.

Manche Anleger wenden sich den Schwellenländern zu, die lange vernachlässigt waren. Sie nicht?
Nein. Nehmen wir China, quasi das Aushängeschild der Emerging Markets. Das Wachstum schrumpft und bewegt sich eher um 6,5% als, wie von der Regierung offiziell verlautet, auf 7%. Der Dienstleistungssektor gewinnt zwar an Bedeutung, aber noch repräsentiert er knapp 45% des BIP und kommt in der industrie- und exportgetriebenen Wirtschaft nur langsam voran. Die Kreditkonditionen sind hinderlich, die Bauwirtschaft schwächelt, und das Problem der Schattenbanken ist ungelöst.

Was erwarten Sie von der US-Börse?
Wir glauben an einen weiterhin starken Dollar, aber nicht so sehr an den US-Aktienmarkt, obwohl er teuer, in unseren Augen aber nicht zu teuer ist. Das Problem ist die Währung. Rund 40% des Ertrags der US-Wirtschaft kommen aus dem Ausland. Das Gewinnwachstum pro Aktie im S&P 500 wird für dieses Jahr auf gut 2% geschätzt, nach 9% im vergangenen Jahr. Doch wenn der Dollar weiter aufwärts strebt, ist selbst dieses Wachstum in Gefahr. In Europa und in Japan geniessen die Märkte deutlich mehr Unterstützung.

Werden Aktien bis Ende Jahr weiteres Terrain gewinnen, und wie viel?
Per saldo werden Europa und Japan Ende Jahr nicht viel, aber doch höher notieren als heute. Grossbritannien und die USA   werden demgegenüber eher unverändert schliessen.

Was kaufen Sie?
Solide Dividendenzahler und vorwiegend Aktien der global ausgerichteten Grosskonzerne aus defensiven Sektoren – nicht Rohstoffe – wie in der Schweiz zum Beispiel Nestlé (NESN 75.75 -0.2%) und in Frankreich L’Oréal (OR 171.85 -0.84%) und Air Liquide (AI 121.8 -0.49%). Insgesamt ist unsere  Strategie eher von Vorsicht geprägt, und daran halten wir fest. In Europa haben sich zwar die Wachstumsperspektiven aufgehellt, aber die Schuldenkrise ist noch nicht vom Tisch.

Wie spiegelt sich das im Anlegemix?
Im ausgewogenen Frankenportfolio halten wir 20% Cash, 30% Aktien, mit Schwergewicht globale Large Caps, 25% Fixed Income und 10% Gold (Gold 1151.835 -0.41%).

Viel Cash und wenig Obligationen?
Das ist richtig. Falls in den USA der Zinstrend nach oben zeigt und es nicht bei einer oder zwei Zinserhöhungen des Fed bleibt, ist ein Bondcrash nicht ausgeschlossen. Das Gebot in Zeiten erhöhter Unsicherheit, in der wir uns trotz konjunktureller Besserung noch immer befinden, ist, nicht vor lauter Anlagenot unnötige Risiken in Kauf zu nehmen, sondern das Vermögen der Kunden zu schützen.

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