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13:51 Uhr - 09.08.2016

«Swatch Group kann man blind kaufen»

Erhard Lee, Chef des Vermögensverwalters AMG, erklärt im Gespräch mit FuW, weshalb er auf Schweizer Industrieaktien setzt und warum auch Bargeld ein gutes Investment ist.

Erhard Lee stellt sich darauf ein, dass die schwierige Zeit an der Börse noch andauert. Deshalb setzt der Vermögensverwalter momentan nicht nur auf Aktien, sondern auch auf Bargeld. 14% des Fondsvolumens sind nicht investiert. «Ich will bereit sein, wenn ich wieder interessante Einstiegskurse sehe», sagt Lee. Das heisst aber nicht, dass es derzeit keine Anlagemöglichkeiten gibt. Der Zürcher setzt momentan vor allem auf Industrietitel. Aber auch Roche und Novartis seien «traumhaft günstig bewertet».

Herr Lee, sollten Privatanleger in der aktuellen Marktlage ihr Geld in Aktien investieren – oder besser auf dem Konto belassen?
Zur PersonEr kennt noch die Zeiten, als am Börsenring gehandelt wurde. Seit über dreissig Jahren verfolgt Erhard Lee (54) das Marktgeschehen, seit fünfzehn Jahren ist er als Gründer und Chef der Vermögensverwaltung AMG Analyse und Anlagen unternehmerisch tätig. Sein Flaggschiff ist der Fonds AMG Substanzwerte Schweiz, der sich auf kleinkapitalisierte Titel fokussiert. Mit Leerverkäufen sichert er sich gegen Korrekturen ab.Wer heute das Geld auf dem Konto hat, macht es eigentlich perfekt. Wer dies vergangenes Jahr gemacht hat, erzielte real einen Gewinn von 1,1%, ohne dass er etwas machen musste. Ohne, dass er irgendwelche Kommissionen, Depotgebühren oder gar Einkommenssteuern zahlen musste. Für den Anleger ist das optimal. Dank der Deflation fährt der Sparer so gut wie nie. Er erhält bloss keinen Zins, was viele irritiert.

Und was haben Anleger zu erwarten, wenn sie nun in Wertschriften investieren wollen?
Ich erwarte, dass sich an der Börse die Spreu vom Weizen trennt. Anleger müssen wieder fundamental analysieren. Die Aktien der Weltkonzerne sind in internationalen Portefeuilles und stehen unter Druck. Ausländische Grossinvestoren haben von der Frankenaufwertung profitiert. Nun trennen sie sich von den Schweizer Blue Chips. Das führt dazu, dass diese heute sehr günstig sind – zum Beispiel die Pharmatitel oder Nestlé. Im Verhältnis zur Realrendite sind sie traumhaft günstig.

Was meinen Sie damit?
Die Realrendite oder Risikoprämie einer Aktie entspricht der Gewinnrendite abzüglich risikofreiem Zinssatz. Bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 20 weist Nestlé eine Gewinnrendite von 5% auf. Dazu kommt das negative Zinsniveau von -0,75%. Daraus errechnet sich die attraktive Realrendite von 5,75%.

Wir befinden uns mitten in der Berichtssaison der Halbjahreszahlen. Was ist Ihnen besonders aufgefallen?
Die Ergebnisse sind sehr durchmischt. Gefreut haben mich die Zahlen jener Unternehmen, die sehr gut arbeiten, weil sie typisch schweizerisch innovativ sind und neue Produkte auf den Markt bringen. Ich denke hier etwa an Sika und Bossard. Sie haben die schwierige Währungssituation schnell gemeistert. Das überrascht.

Woran liegt’s?
Sie profitieren davon, dass nach dem ersten Währungsschock vor fünf Jahren die Innovationsinitiativen gestartet wurden. Zudem haben sich die Rohmaterialien deutlich vergünstigt. Dieser Effekt schlägt nicht überall auf den Umsatz durch, deshalb haben sich die Margen ausgeweitet. Aber nicht nur die Rohmaterialien, auch die übrigen Inputfaktoren in der Industrie sind in den vergangenen Jahren billiger geworden: Kapital, Arbeitskraft, Energie und Basisrohstoffe.

Davon profitieren nicht alle Unternehmen.
Aber viele, die stark in der Schweiz positioniert und tätig sind. Das sind die Unternehmen, die mein Team und ich gut kennen. Deshalb fokussieren sich unsere Anlagen ausschliesslich auf Schweizer Gesellschaften.

Wie beurteilen sie die Börsenlage?
Wir sind schon seit längerer Zeit vorsichtig unterwegs. Bislang hat uns das Börsengeschehen mehr oder weniger Recht gegeben. Bereits im vergangenen Jahr hielten wir uns zurück und versuchten, unser Exposure zu systematischen Risiken klein zu halten.

Was heisst das?
Wir haben bewusst weniger volatile und sportliche Papiere im Depot gehalten. Zum Beispiel hatten wir auf zyklische Industrietitel verzichtet. In den vergangenen anderthalb Jahren haben wir in diesem Sektor wieder erste Positionen aufgebaut. Wir haben ein wenig Bossard gekauft, Sika und Swatch-Group. Hier waren wir leider etwas zu früh dran.

zoomIn Ihrem Fonds setzen Sie auch auf Leerverkäufe. Welche Titel sind derzeit Ihre grössten Short-Kandidaten?
Mit den Leerverkäufen können wir das Marktengagement steuern und systematisches Risiko aus dem Portefeuille nehmen. Unsere Leerverkaufspositionen ändern sich deshalb manchmal schnell. Zurzeit sind Credit Suisse und Clariant dabei. Zusätzlich haben wir Futures auf den SMIM-Index verkauft.

Was spricht gegen Clariant?
Sie haben die Erwartungen nie erfüllt. Zudem laufen das Umfeld sowie die Entwicklung bei ihren Kunden gegen sie. Die Zahlen waren auf den ersten Blick soweit in Ordnung. Sobald man aber etwas in die Tiefe geht, sieht man wenig Gutes.

Wo sind Sie ebenfalls vorsichtig?
Bei den Banken und in deren Sog auch den Versicherungen.

Was gefällt Ihnen an Bossard?
Das Unternehmen ist einfach gut geführt und ist innovativ unterwegs und hat noch immer ein breites geografisches Expansionsfeld. Die Verbindungstechnik wird immer anspruchsvoller. Das sorgt für steigende Margen. Bossard ist in die Verlängerung der Wertschöpfungskette gegangen und bindet dadurch den Kunden an sich.

Die Aktien hatten zuletzt deutlich zugelegt. Immer noch ein Kauf?
Ja. Die jüngste Akquisition ist zielführend. Bossard waren schon mal bei rund 140 Fr. Dort sehen wir etwa das mittelfristige Kurspotenzial.

In Swatch Group sind Sie seit über einem Jahr investiert – trotz sinkender Notierungen. Weshalb halten Sie daran fest?
Das Unternehmen ist grundsolide, das Risiko bescheiden. Natürlich könnte man sagen, dass immer weniger Uhren getragen werden. Daran glaube ich aber nicht. Die Tendenz geht dahin, dass sich Männer immer mehr schmücken, Kosmetikartikel und Pflegemittel benützen. Wir setzen bei Swatch Group auf diesen Trend. Ich glaube an dieses Unternehmen und seine Produkte. Dazu kommt, dass Swatch Group noch was anderes macht.

Sie sprechen das Batterieprojekt für Elektroautos an?
Schauen Sie es als Option an. Wenn die Superbatterie kommt, wird es einen Kursschub geben. Andernfalls wird es keine negative Auswirkung auf den Kurs haben. Die Batterie ist im aktuellen Aktienkurs nicht bewertet. Wieder einmal zeigt sich: Bei jungen Unternehmen zahlen Anleger die Hoffnung auf den Durchbruch viel zu teuer. Bei gestandenen Unternehmen wird hingegen das Innovationspotenzial nicht bewertet.

Ist Swatch Group nun günstig bewertet – oder sind die Gewinnerwartungen noch immer zu hoch?
Eine gute Frage. Ich schaue es anders an. Ich frage mich: Welche Bewertung ist für Swatch Group gerechtfertigt? Ich setze sie beim 25-Fachen des Gewinns an. Das entspricht in etwa der Bewertung des SMIM-Index. Heute bewertet der Markt Swatch Group mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 14. Das heisst, dass der Markt den Gewinn nochmals halbiert sieht.

Also ein klarer Kauf?
Ja, aus meiner Sicht kann man auf heutigem Niveau Swatch Group blind kaufen.

Wo sehen Sie sonst noch Einstiegschancen?
Beim Pharma-Unternehmen Cosmo und beim Bauchemiehersteller Sika.

Trotz der Querelen bei Sika um den Verkauf des Aktienpakets an Saint-Gobain?
Die haben mit dem operativen Betrieb wenig zu tun. Es ist vielmehr eine Sache, die uns Börsianer interessiert. Die Kunden von Sika spüren davon nichts. Das zeigt sich auch daran, dass Sika von Rekord zu Rekord eilt. Schon deshalb würde ich es schade finden, wenn Sika vom Tableau verschwinden würde. Das wäre sicher bald der Fall, wenn kein Ankeraktionär mehr vorhanden wäre.

Zu den innovativen Unternehmen gehören auch die Autozulieferer. Stehen die bei Ihnen nicht auf der Liste?
Das ist vermutlich die Branche, die sich in den kommenden zehn Jahren am meisten verändern wird. Da wird man sich einige Gedanken machen müssen.

Wer ist am besten positioniert?
Schwierig zu sagen. Autoneum wird seinen Platz haben. Aber was, wenn der Motor keine Geräusche mehr macht, die man dämpfen muss? Dafür muss mehr isoliert werden, weil man zum Heizen keinen Batteriestrom vergeuden will. Für Autoneum sehe ich also durchaus Möglichkeiten. Auch Komax wird mit seinen Kabelverarbeitungsmaschinen in Zukunft benötigt. Die Verkabelung in den Autos wird weiter zunehmen. Bei Georg Fischer wäre ich etwas zurückhaltender.

Seit einiger Zeit klettern Small- und Mid Cap-Titel stark. Droht eine Blase?
Der Eindruck täuscht. Nicht die Kleinen sind teuer, sondern grosse Werte viel zu günstig. Der Markt zeigt sich nicht effizient, weil die Zinsen künstlich tief gehalten werden. Dabei nimmt der Markt heute ein deutlich höheres Zinsniveau vorweg. Nehmen wir nochmals Nestlé mit einer Realrendite von 5,75%. Davon ziehe ich die normale Risikoprämie von 2% ab. Das heisst, dass das eingepreiste Zinsniveau zwischen 3 und 4% liegt, denn eine Top-Defensivaktie wie Nestlé müsste heute eine Realrendite von nur 2% haben. Nimmt man den Kehrwert von 2%, errechnet sich daraus ein faires Kurs-Gewinn-Verhältnis von 50 für Nestlé. Das heisst, der Kurs könnte sich verdoppeln und der Titel wäre nicht überbewertet.

Nochmals: Sind die Kurse für Small Caps gerechtfertigt?
Werden die Gewinnerwartungen erfüllt, dann sind die Preise für Small- und Mid Cap-Aktien durchaus gerechtfertigt. Mein Team und ich sind diesbezüglich aus heutiger Optik positiv gestimmt.

 

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