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06:58 Uhr - 10.01.2020

«Im zweiten Halbjahr könnte es holprig werden»

Tobias Levkovich, Chefstratege US-Aktien bei Citi, geht von weiterhin steigenden Kursen aus, rechnet für die zweite Jahreshälfte aber mit Turbulenzen.

Herr Levkovich, von welcher Entwicklung gehen Sie 2020 im US-Aktienmarkt aus?
Grundsätzlich sind wir optimistisch gestimmt. Faktoren wie Sentiment, Bewertungsniveau und Finanzierungskonditionen zeichnen zwar kein extrem «bullisches», aber in der Tendenz ein doch positives Bild. Zum Beispiel ist die Stimmung unter den Investoren weit von einer Euphorie entfernt, obwohl die Aktienmärkte nahe ihren Höchst notieren.

Haben Sie ein konkretes Kursziel?
Für den S&P 500 rechnen wir per Jahresende weiterhin mit einem Niveau von 3375, was gegenüber dem Vorjahr einem Plus von rund 4,5% entspricht. Das deckt sich in etwa auch mit unserer Prognose für das Wachstum der Firmengewinne, das wir bei 4,8% sehen. Die positive Gewinnentwicklung dürfte den Aktienmarkt nach oben treiben.

Halten Sie es für möglich, dass der Konflikt zwischen den USA und dem Iran eskaliert und die Börsen in Mitleidenschaft zieht?
Es müsste schon zu einem ausgewachsenen Krieg zwischen den beiden Staaten kommen, damit die Börsen massiv belastet würden. Meiner Meinung nach preisen die Finanzmärkte gegenwärtig in angemessener Weise ein, dass die Situation nicht in einem geopolitischen Desaster mündet – auch, weil beide Konfliktparteien das nicht wollen.

In Ihrem Marktausblick 2020 rechnen Sie damit, dass es im zweiten Halbjahr ruppiger werden könnte. Was sind die Gründe?
Ein wichtiger Faktor sind die Kreditvergabestandards der Banken. Eine Lockerung respektive eine Verschärfung wirkt sich mit einer Vorlaufzeit von rund neun Monaten in der Investitionsaktivität der Unternehmen aus. Das zeigt sich derzeit in der wirtschaftlichen Belebung, die auf die Lockerung des Vorjahres zurückzuführen ist. Die Verschärfung der Vergabestandards im Oktober 2019 dürfte nun aber  zur Folge haben, dass im zweiten Halbjahr 2020 eine negative Wirkung zu sehen sein wird.

Gibt es sonst Indizien, die für ein schwierigeres zweites Semester sprechen?
Die Inversion der US-Zinskurve deutet an, dass es mit einer gewissen Verzögerung zu einer Erhöhung der Volatilität kommen könnte. Und bei steigender Volatilität wird es am Aktienmarkt oft ein wenig holprig.

Wie stufen Sie das aktuelle Bewertungsniveau im US-Aktienmarkt ein?
Frühere Perioden, in denen ähnliche Inflationsraten herrschten wie zurzeit, wiesen im Durchschnitt ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 18 auf. Wir halten die gegenwärtigen Bewertungen deshalb für vernünftig und sehen sogar noch Expansionspotenzial. Die weiterhin «dovish» eingestellte US-Notenbank dürfte Ängste, dass etwa der Handelskonflikt zu einer Bewertungskorrektur führt, wettmachen.

Wie sind Aktien relativ zu anderen Assetklassen bewertet?
Vergleicht man das Kurs-Gewinn-Verhältnis im S&P 500 mit dem Preis-Rendite-Verhältnis zehnjähriger US-Treasuries, zeigt sich deutlich, dass sich die Bewertung der Staatsanleihen vor rund zehn Jahren vom Aktienmarkt entkoppelt hat. Anleger, die Bedenken gegen überbewertete Aktienmärkten haben, müssten sich deshalb erst recht vor dem Bondmarkt fürchten.

Welche Faktoren bereiten Ihnen Sorgen?
Was man im Auge behalten sollte, sind zum Beispiel die Margen der Unternehmen, die unter Druck geraten könnten.

Teilen Sie die häufig geäusserte Meinung, dass vor allem steigende Lohnkosten die Margen und letztlich die Konzerngewinne belasten könnten?
Tatsächlich dürften sich die Lohnkosten in den USA weiter erhöhen. Umfragen unter den kleinen US-Gesellschaften zeigen etwa, dass ein bedeutendes Problem darin besteht, gute Arbeitnehmer zu finden. Allerdings müssen höhere Lohnausgaben nicht zwingend die Profite beeinträchtigen: Meistens, wenn in der Vergangenheit die Löhne stiegen, sind die Unternehmensgewinne stärker gewachsen, weil sich die höheren Löhne letztlich in grösseren Konsumausgaben niedergeschlagen haben.

Sehen Sie ein Risiko in der Unternehmensverschuldung, die über die vergangenen Jahre stark gestiegen ist?
Die Verschuldung der Unternehmen ist im aktuellen Niedrigzinsumfeld keine grössere Bedrohung. Höchstens ein rasches Hochschiessen des Zinsniveaus könnte zu Schwierigkeiten führen. Bei einer langsamen, graduellen Steigerung haben die Unternehmen jedoch genügend Zeit, angemessen zu reagieren. Sie könnten beispielsweise die Buybacks zurückfahren und dafür Schulden abbauen.

Was könnte Ihrer Meinung nach am ehesten eine Trendwende an den Märkten auslösen?
Wenn ich wirklich einen Auslöser nennen muss, dann ist es wohl am ehesten ein rapider Anstieg der Inflation. Ein Teuerungsschub könnte von der Energieseite kommen. Oder von den Lohnkosten, weil sich weltweit die Handelshemmnisse verschärfen und damit der positive Effekt der globalisierten Produktionsketten zurückgedreht wird.

Welche Branchen sind im aktuellen Marktumfeld besonders attraktiv?
Ein «Übergewichten» haben wir zurzeit zum Beispiel im Bereich Halbleiter und Halbleiterequipment. Auch Investitionsgüter und Energie halten wir für attraktiv.

Welche Branchen würden Sie eher meiden?
Ein «Untergewichten» haben wir etwa für den Sektor Basiskonsum: Die Gesellschaften sehen günstig aus, aber ihre Gewinnmargen stecken seit zwanzig Jahren in einem Abwärtstrend fest. Ähnliches gilt für Telecom: Die Unternehmen mögen im Vergleich zu ihrer Historie zwar niedrig bewertet sein, doch sind sie weiterhin massiv einer technologischen Bedrohung ausgesetzt.

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