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10:23 Uhr - 10.05.2019

Die Konjunktur spreizt sich im Euroraum

Industrie und Dienstleister laufen auch im Frühjahr auseinander. In Deutschland und Frankreich schwächelt das verarbeitende Gewerbe bereits empfindlich.

Entgegen der verbreiteten Stimmung ist die Wirtschaftsleistung des Euroraums zu Beginn des Jahres robust gewachsen. Selbst in der grössten Volkswirtschaft Deutschland zeichnet sich nach ersten vorläufigen Daten ab, dass die Statistiker am 15. Mai einen beschleunigten Anstieg des Bruttoinlandprodukts (BIP) melden werden. Aus Umfragen ist bekannt, dass es vor allem die Dienstleistungsunternehmen und der Bau gewesen sind, die das Wachstum des Währungsraums getragen haben. Die Industrie, besonders in Deutschland und Frankreich, steckt dagegen in der Krise.

Während die Rezessionssorgen bei Anlegern seit Wochen etwas schwinden, richtet sich der Blick der Ökonomen auf das im April begonnene Frühjahrsquartal. Noch könnte es für eine Entwarnung aber zu früh sein: Am Dienstag senkte die EU-Kommission ihre Prognose 2019 für die Eurozone von 1,9 auf 1,2%. Besonders scharf für Deutschland von 1,8 auf 0,5%, etwas weniger für Frankreich von 1,6 auf 1,3% und für Italien von 1,2 auf nur 0,1%.

Solides Wachstum

Im ersten Quartal beschleunigte das BIP-Wachstum der Eurozone von 0,2% Ende 2018 auf 0,4%. In Frankreich blieb es wie in Österreich konstant bei 0,3%. Italien beendete sogar die Rezession aus dem zweiten Halbjahr 2018 mit einem Plus von 0,2%. Und in Spanien ging es von 0,6 auf 0,7% aufwärts. Belgiens Wirtschaftsleistung stieg 0,2%.

Daraus ergebt sich rein rechnerisch, dass die deutsche Volkswirtschaft zwischen 0,4 bis 0,5% gewachsen sein müsste, wie Berechnungen von Oliver Rakau, Deutschland-Chefvolkswirt beim Beratungsdienst Oxford Economics, zeigen.

Zum gleichen Schluss kommt das Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW). «Nicht zuletzt die fiskalischen Entlastungen und die weiterhin sehr robuste Arbeitsmarktentwicklung dürften insbesondere den konsumnahen Branchen zum Jahresauftakt Auftrieb verliehen haben», schreiben die Forscher. Sie machen auf das gespreizte Konjunkturbild aufmerksam, das nicht nur in Deutschland, sondern zum Teil auch in Frankreich zu sehen ist: «Der rückläufigen Auslastung im Verarbeitenden Gewerbe stehen eine lebhafte Dienstleistungskonjunktur und eine weiterhin boomende Bauwirtschaft gegenüber.»

Für das laufende zweite Quartal liegen bislang noch keine harten Daten vor. Allerdings hat das Markit-Institut zuletzt seine Umfrage unter Einkaufsmanagern veröffentlicht, und die EU-Kommission hat die Befragungen der nationalen Institute – Ifo in Deutschland, Insee in Frankreich oder Wifo in Österreich – publiziert. Die Ergebnisse der EU sind deswegen so interessant für Konjunkturbeobachter, weil sie jeweils zum Quartalsbeginn einen sehr guten Eindruck über die Kapazitätsauslastung vermitteln. Eine hohe Auslastung kann ein Signal sein, dass die Inflationsrisiken zunehmen und dass sich der Konjunkturzyklus in einer Spätphase befindet, wobei die Unternehmen bald ihre Investitionen in Maschinen, Anlagen oder Wirtschaftsgebäude zurückfahren.

Industrieauslastung sinkt

Die EU-Daten zeigen für April, dass sich am gespreizten Konjunkturbild nichts geändert hat: In der Industrie sank die Auslastung im Vergleich zur Januarumfrage von 83,6 auf 82,8%. Sie liegt damit bereits 1,4 Prozentpunkte unter dem Höhepunkt vom Januar 2018, als die Industriefirmen ihre Kapazitäten im Durchschnitt wie in früheren Boomphasen ausgelastet haben.

Bei den Dienstleistern blieb die Auslastung dagegen nahezu konstant bei 90,7% – was immer noch das höchste Niveau seit der Finanzkrise ist. Für den Wirtschaftszweig, der in vielen Volkswirtschaften den Grossteil der Beschäftigung und der Wirtschaftsleistung ausmacht, liegen aber erst Umfragedaten seit 2011 vor.

Auffällig ist nicht nur das Auseinanderdriften der Konjunktur zwischen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, sondern auch zwischen den Ländern (vgl. Grafiken). So liegt Italiens Industrie noch immer auf einem Boomniveau, was zusammen mit einem robusten Servicesektor ohnehin noch nicht auf längere Wirtschaftskrise hingewiesen hat. Ähnlich ist das Bild in Spanien, wo aber auch die Dienstleister im April ihre gute Auslastung nochmals enorm gesteigert haben.

Die Kerneurozone bremst

Der starken Expansion in den grossen Eurorandstaaten stehen Länder wie Deutschland und Frankreich gegenüber. Dort fahren die Industrieunternehmen ihre Auslastung bereits erheblich zurück – was ein Vorbote dafür sein kann, dass auch der Rest der Wirtschaft vom Abschwung erfasst wird. Ausgeprägt ist die Industrieschwäche in Deutschland, wo die Auslastung allein von Januar bis April um 1 Prozentpunkt auf 85,3% gesunken ist. Anfang 2018 lag sie noch bei 88,2%. Neueste Auftragsdaten zeigen, dass im Frühjahr keine Wende zum Besseren zu erwarten ist.

Die deutsche Industrie war vergangenes Jahr noch von einem neuen Abgastestverfahren betroffen, was zu Lieferverzögerungen bei den Autobauern führte. Zudem bremste der niedrige Pegel im Rhein das Wachstum. Wie die EU-Kommission in ihrer neusten Prognose errechnet, leidet die Schweizer Automobilbranche (−1,3%) am meisten unter dem Produktionsrückgang von 8% in der deutschen Automobilwirtschaft im dritten Quartal, gefolgt von Österreich (−1,2%) sowie Tschechien und Ungarn (jeweils −1,1%). Allerdings zeigen die Kapazitätsdaten auch, dass sich der deutsche Autobau zuletzt stabilisiert hat. Dafür lasten der Maschinenbau und die Elektroindustrie ihre Anlagen deutlich weniger aus.

Dabei soll die sogenannte Outputlücke, der Abstand zum Potenzialwachstum, in Deutschland mit –0,2% wieder negativ werden, in Italien solle sie bei –0,3% liegen. Für Frankreich sagt die Kommission dagegen voraus, dass BIP werde 0,5% des potenziellen BIP über der tatsächlichen Wirtschaftsleistung liegen.

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