Martina Müller-Kamp, Leiterin Investment Center und Mitglied der Direktion der Graubündner Kantonalbank, setzt weiterhin auf Aktien und auf alternative Anlagen.
Frau Müller-Kamp, was ist Ihr Szenario: Geht der Börsenaufschwung weiter?
Wir sind weiterhin positiv für Aktien gestimmt. Die Weltwirtschaft steuert auf eine synchrone Erholung zu. Das gibt den Aktienmärkten von fundamentaler Seite Rückenwind. Gleichzeitig ist die Geldpolitik in den Industrieländern sehr expansiv. Im Negativ- beziehungsweise Niedrigzinsumfeld gibt es für Anleger keine Alternative.
Sind die globale Wirtschaftserholung und die wieder aufwärts strebenden Unternehmensgewinne nachhaltig genug, dass es auch für ein neuntes Haussejahr reicht?
Das ist auch immer eine Frage der Bewertung. Aktien sind nicht mehr günstig. Allerdings wissen wir, dass die Bewertung auf kurze Sicht, für die nächsten Monate, kein guter Indikator ist. Die Bewertung ist für uns daher per se kein Grund, unser Übergewicht abzubauen.
In den ersten vier Monaten 2017 haben die Börsen schon mehr als einen Jahresertrag erzielt. Ist das kein Verkaufssignal?
Dass Aktienkurse in einem Jahr ein Vielfaches des durchschnittlichen Jahresertrages gewinnen respektive in der Baisse auch verlieren können, haben wir in der Historie immer wieder gesehen. Es ist daher für uns kein Zeichen, dass der Aufwärtstrend bald beendet ist.
Welche Unterstützung bietet die ultralockere Geldpolitik den Märkten noch?
Die Geldpolitik und das damit einhergehende Niedrigzinsumfeld ist ausser den Fundamentaldaten die entscheidende Stütze für den Aktienmarkt. Fed, EZB und SNB (SNBN 1902 -1.65%) sind bemüht, die Märkte zu überzeugen, dass der Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik sehr vorsichtig vollzogen wird. In der Vergangenheit haben sich höhere Notenbanksätze erst am Ende des Zinserhöhungszyklus negativ auf die Aktienkurse ausgewirkt. Davon sind wir noch weit entfernt.
Von den Notenbanken gewollt ist auch ein gewisses Mass an Inflation. Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass Inflation nicht nur zurückkehrt, sondern überschiesst?
Inflation scheint an den Märkten aktuell kein Thema zu sein. Schaut man aber in die USA, so läuft die Wirtschaft gut und der Arbeitsmarkt ist eng. Wenn Präsident Trump noch mit einer expansiven Fiskalpolitik die Wirtschaft weiter ankurbelt, kann Inflation durchaus wieder zum Thema werden. Damit würden die Renditen langfristiger US-Treasuries weiter steigen. Von diesem Trend könnten sich die Renditen europäischer Staatsanleihen und der Schweizer Bundesobligationen nicht abkoppeln. Das ist unser Risikoszenario für den Obligationenmarkt.
Was empfehlen Sie Obligationenanlegern?
Auf der Obligationenseite haben Investoren derzeit nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder die Renditen bleiben niedrig. Dann erzielen Investoren negative oder sehr tiefe Renditen über Jahre hinweg. Oder die Renditen steigen, was den Vorteil hätte, dass Anleger zumindest mittelfristig wieder einen ansprechenden Ertrag erzielen könnten. Kurzfristig würden aber herbe Kursverluste im Obligationenportfolio anfallen. Gerade für Privatanleger bleibt die Anlage in sichere Obligationen derzeit unattraktiv.
Weshalb kaufen dann institutionelle Investoren sichere Staatsanleihen und nehmen lieber einen kalkulierten Kapitalverlust in Kauf, als sich in Risikoanlagen zu engagieren? Wovor haben sie Angst?
Aufgrund von regulatorischen Rahmenbedingungen und der Risikotragfähigkeit sind institutionelle Investoren gezwungen, einen Teil ihres Vermögens sicher anzulegen. Sie haben eine andere Ausgangslage als private Investoren. Das Geld, das sie im Cash belassen, wird bei den Banken negativ verzinst. Das heisst, die Anlage in Frankenobligationen bietet ihnen bei einer Rendite auf Verfall von knapp über 0% weiterhin eine bessere Rendite als Cash. Das ist selbstverständlich ein schwacher Trost, wenn man bedenkt, dass Pensionskassen eine Rendite von 2,5% und mehr erzielen müssen. Die Suche nach angemessenem Ertrag ging daher in den letzten Jahren mit der Hinwendung zu risikoreicheren und komplexeren Anlageklassen einher.
Zu welchem Anlagemix raten Sie einem Privatkunden, der 1 Mio. Fr. aus gewogen und auf fünf Jahre hinaus investieren will?
Wir empfehlen unseren Kunden derzeit eine Aktienquote von 50%. Auf der Obligationenseite bevorzugen wir Unternehmensanleihen und haben auch eine kleine Quote von Hochzinsobligationen im Einsatz. Alternative Anlagen gewichten wir mit 18% relativ hoch. Da empfehlen wir ein sehr breit diversifiziertes Portfolio, unter anderem aus Immobilienfonds, mit Gold (Marktdaten 1223.18 -0.01%) als Diversifikator, mit Mikrofinanz und mit Fonds, die weitere alternative Risikoprämien erwirtschaften.
Die Bündner Kantonalbank hat letzthin ihr Aktienrating von «Übergewichten» auf «Leicht Übergewichten» reduziert. Welche Überlegungen stecken dahinter?
Seit Jahresanfang liegt unsere Aktienquote bei 50%. Zum Vergleich: eine neutrale Quote beträgt 45%. Aber wir hatten bis April zusätzlich eine Position in strukturierten Produkten, die von einer sinkenden Volatilität am Aktienmarkt profitiert. Weil die Volatilität derzeit historisch tief ist und bei einer Korrektur am Aktienmarkt wieder steigen sollte, haben wir uns mit Gewinn davon getrennt. Damit haben wir zwar nicht die Aktienquote direkt reduziert, aber die Depots defensiver ausgerichtet.
Worauf achten Sie bei der Beurteilung des Aktienmarkts besonders?
Wir achten auf die Fundamentaldaten. Daneben ist es essenziell, dass Investitionen, die wir machen, über Momentum verfügen. Das heisst, eine Aktie oder ein Aktienindex muss sich in einem Aufwärtstrend bewegen. Erst dann engagieren wir uns und bleiben investiert, solang das Momentum intakt ist. Gegenwärtig sehen wir noch keine Anzeichen für eine nachhaltige Korrektur des Markts.
Im neu aufgelegten Aktienfonds Welt der GKB sticht Partners Group (PGHN 621.5 0.16%) hervor, wie die Tabelle unten zeigt. Ist Private Equity (PEHN 70.8 -1.32%) als Alternativanlage nicht überhitzt?
Wir halten besonders aus Liquiditäts- und aus Kostengründen keine direkten Private-Equity-Anlagen. Aber es stimmt, sowohl im GKB-Aktien-Welt- als auch im GKB-Aktien-Schweiz-Fonds sind wir indirekt in Partners Group investiert. Das Unternehmen zeigt mit einer operativen Marge von über 50% eindrücklich, dass sich mit dieser Anlageklasse sehr gutes Geld verdienen lässt.
Der GKB Aktien Welt ist nicht wie die meisten Aktienfonds kapitalisierungs-, sondern gleichgewichtet. Auf jeden Titel entfallen 2% des Kapitals. Weshalb diese Strategie?
Eine Gleichgewichtung hat den Vorteil, dass grosskapitalisierte Konzerne nicht übervorteilt werden. Ein gutes Mid-Cap-Unternehmen hat im Portfolio den gleichen Stellenwert wie eine grosse Gesellschaft. Langfristige Studien belegen, dass kleinere und mittelgrosse Unternehmen eine Risikoprämie haben. Mit einem gleichgewichteten Ansatz sind attraktive Small- oder Mid-Cap-Titel stets übergewichtet.
Schon länger am Markt ist der GKB-Fonds Aktien Schweiz. Auch er wird aktiv geführt und liegt deutlich vor dem Referenzwert SPI. Dabei sind die Top-drei-Positionen
Roche (ROG 267.5 -1.87%), Nestlé (NESN 80.65 -0.37%) und Novartis (NOVN 78.8 -0.44%) identisch mit dem Index. Woher kommt der Mehrwert?
Wir halten zwar die grössten drei Schweizer Aktien im Fonds, in Nestlé und Novartis sind wir zurzeit aber deutlich untergewichtet. Zudem ist der Fonds mit je rund 4% in sechs Titel aus dem Small- und Mid-Cap-Segment investiert. Der grösste Teil der aktiven Rendite seit Lancierung des Fonds kommt aus dieser Positionierung.
Unter den Top Ten sind keine Bankaktien – noch nicht, oder misstrauen Sie den wieder stärker gewordenen Grossbanktiteln?
Es ist effektiv so, dass wir Bankaktien seit längerer Zeit untergewichten. Wichtige Einflussgrössen in unserem Selektionsmodell sind Qualität und Kursmomentum. Gemessen daran ziehen wir Asset-Manager- und Versicherungswerte vor.
Hält der Höhenflug der klein- und mittelkapitalisierten Werte an?
Während Unternehmen im Small- und Mid-Cap-Bereich ein hohes und robustes Gewinnwachstum aufweisen, tun sich Large-Cap-Unternehmen schwer und haben teilweise sogar mit Gewinn- und Umsatzrückgängen zu kämpfen. So lange die Anleger bereit sind, eine Prämie für wachstumsstarke Firmen mit hoher Qualität zu zahlen, hält die Nachfrage nach klein- und mittelkapitalisierten Titeln an.
Kurz zu den Währungen: Was ziehen Sie bis Ende Jahr vor: Franken, Dollar oder, nach den Wahlen in Frankreich, den Euro?
Die höhere Wachstumserwartung der USA und die positive Zinsdifferenz scheinen im Dollar inzwischen eingepreist zu sein, während die sich verbessernden Wachstumsaussichten in Europa nicht nur die europäischen Aktienmärkte, sondern auch den Euro stärken. Er wird Ende Jahr die Nase vorn haben.
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