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11:52 Uhr - 03.08.2022

Steinway & Sons: Hightech von Hand

Die Bauer von Konzertflügeln können beides, Tradition und Innovation. Das soll auch ein IPO nicht ändern.

Ruhig gibt Teamleiter Stefan in der Rimbiegerei sein Kommando, und vier Mann hieven die präzis geklebten schweren Hartholzlagen von der Leimstrecke hinüber zum Biegebock. Das Team in der Steinway-Manufaktur in Hamburg ist eingespielt, jeder Handgriff sitzt. Bald pressen Zwingen und Spanner den Rim um das Modell, das die Form des späteren Konzertflügels vorgibt. Mindestens drei Stunden bleibt das Holz eingespannt, dann wird der Flügelrahmen, genannt Rim, für hundert Tage in einer Klimakammer in Ruhe gelassen, bevor er auf die weitere Produktionsreise geht.

Wenn das Holz in die Rimbiegerei kommt, ist es bereits durch mehrere Produktionsschritte gegangen. Zwei Jahre werden die Hölzer, alles FSC-zertifiziert, gelagert, um den Feuchtigkeitsgehalt auf 6 bis 8% zu reduzieren. Erst dann werden aus Eiche, Ahorn und Mahagoni die Lagen geschnitten. Bis zu zwanzig davon werden sodann aufeinander geleimt als Instrumentenrahmen dienen. Insgesamt passiert ein Flügel knapp zwanzig Produktionsabteilungen und wird dabei von gegen 200 Beschäftigten bearbeitet, bis er nach zwölf Monaten, schwarz lackiert oder in Holz belassen, den Händlern übergeben wird.

«Wir sind auf einem sehr guten Weg, den wir nach dem geplanten Börsengang weiter beschreiten werden.»

Guido Zimmermann, Präsident Steinway & Sons Europe

Mehr als 80% der Fertigung sind nach wie vor Handarbeit und alles wird am Standort im Hamburger Stadtteil Altona gefertigt, den «Finanz und Wirtschaft» auf Einladung besuchte. Manche der rund fünfhundert Steinway-Mitarbeitenden sind seit vielen Jahren im Betrieb, einige bereits in zweiter Generation oder zusammen mit Familienmitgliedern.

Dazu gehört Ingo, der über einen Onkel zum Unternehmen gefunden hat. Der Klavierbauer arbeitet in der Vorregulation. Konzentriert achtet er auf Schwingungen und Nebengeräusche im Flügelgehäuse, zieht da eine Schraube an, lockert dort eine andere. Im Bau ist ein Flügel der neuesten Bauart, ein Spirio, mit dem das Traditionshaus Steinway & Sons in der Pianowelt neue Massstäbe setzen will. 18 bis 20 Stunden dauert es, bis die Stellschrauben für die Anschlaghammer der Klaviertasten perfekt sitzen. Die Passion der Klavierbauer für ihre Handwerkskunst wird auf dem Rundgang sichtbar und erlebbar.

Wie Geschwister

Das Werk in Hamburg wurde 1880 gebaut. Bis dann hatte sich die 1853 in New York gegründete Steinway & Sons in der Musikwelt einen Namen geschaffen. An seinem Anfang stand der 1797 im deutschen Harz geborene Heinrich Engelhard Steinweg. Früh Waise geworden, erlernte er im Dienst des Herzogs von Braunschweig das Schreinerhandwerk. In den 1820er-Jahren arbeitete er als Instandsetzer von Orgelpfeifen und bald als Fortepiano-Bauer, einem Instrument, das ihn begeisterte.

Guido Zimmermann, Präsident Steinway & Sons Europe.

1836 baute er den ersten Flügel, wie die Welt ihn heute noch kennt. Nach den Revolutionen in Europa von 1848 wanderte der neunfache Vater Steinweg mit seiner Familie nach New York aus, wo er als Henry Steinway die Gesellschaft Steinway & Sons gründete. Nach kurzer Zeit wurden jährlich fünfhundert Instrumente verkauft.

Heute beliefert Steinway von New York aus Nord- und Südamerika, von Hamburg aus werden die Kunden in Europa und Asien betreut. «Die Zusammenarbeit funktioniert als tolle Geschwisterschaft», sagt Guido Zimmermann, Präsident und Managing Director Steinway & Sons Europe, zu «Finanz und Wirtschaft». Produktportfolio, Qualität und der Ansatz für die Marke seien identisch. Leichte Unterschiede gibt es dennoch: das Spielgefühl, die Klangfarbe der Flügel sind nicht exakt gleich, was Zimmermann auch darauf zurückführt, dass in den beiden Manufakturen unterschiedliche Hölzer verbaut werden.

Steigende Nachfrage

Rund 1400 Flügel und gut 300 Klaviere werden in der Hansestadt jährlich gefertigt, in New York sind es wegen der leicht geringeren Mitarbeiterzahl etwas weniger. Auch während der Pandemie ist die Nachfrage nicht eingebrochen, sie habe sogar zugenommen. «Wir haben das Glück, dass die Nachfrage die Produktion übersteigt», schildert Zimmermann die aktuelle Situation. Um sie zu befriedigen, investiert Steinway in die Produktion. So nimmt im Herbst eine neue Lackiererei den Betrieb auf, in die 12 Mio. € investiert wurden.

Es ist dies Teil einer Reihe von Investitionen, die John Paulson, Hedge-Fund-Milliardär und Unternehmenseigentümer seit 2013, lanciert hat. Die Investitionen, ein Vielfaches im Vergleich zur Zeit vor 2013, sollen laut Zimmermann im gleichen Mass weitergehen. Auch der im Frühjahr angekündigte Börsengang von Steinway in New York soll nichts daran ändern: «Wir sind auf einem sehr guten Weg, den wir nach dem Börsengang weiter beschreiten werden.» Details und Zeitpunkt des Börsengangs, den Zimmermann «mit Freude erwartet», sind noch offen. «Dass Paulson einen überwiegenden Anteil behalten will, verschafft uns Sicherheit punkto Kontinuität in der Marken- und Standortentwicklung und für die sehr gut funktionierende Strategie.»

Ein Teil davon ist die Entwicklung der Märkte, ein anderer der Fokus auf Innovation. Als «spannende» Märkte bezeichnet Zimmermann die USA («sie sind nach wie vor grösster Einzelmarkt») und aus der Sicht von Hamburg ist China seit sieben Jahren die Nummer eins. Ein Drittel der Produktion, Anteil steigend, geht nach China. Mit geschätzt 40 Mio. Klavierschülern, so Zimmermann, ist das Reservoir für weitere Kunden riesig. Deshalb will er die Präsenz von derzeit neun eigenen Geschäften ausbauen. «In den nächsten Jahren wollen wir in China pro Jahr zwei bis drei Läden eröffnen», legt er dar.

«Innovation ist uns in die Firmen-DNA geschrieben.»

Guido Zimmermann

Technologisch ganz vorn

Innovative Produkte sind in der Strategie nicht nur für China ein Eckpfeiler. «Innovation ist uns in die Firmen-DNA geschrieben», sagt Zimmermann. «So unterhalten wir permanente Zirkel für Verbesserungen technischer und klanglicher Natur.» Pianisten und Technikerinnen seien stets mit von der Partie.

Das war auch in der Entwicklung der Spirio-Technologie der Fall. Der neue Spirio | r ermöglicht es Musikliebhabern als selbstspielender Flügel, das eigene Klavierspiel aufzunehmen, wiederzugeben und zu archivieren. Die gespielte Musik wird dazu direkt über das Instrument aufgezeichnet und in einem hochaufgelösten Dateiformat gespeichert. Laser messen die Geschwindigkeit der Hämmer beim Anschlagen der Saiten. So bleibt jede Note und jede Nuance der gespielten Musik bis ins Detail erhalten. Den Grundstein zum Spirio-Flügel legen aber die mit Herzblut arbeitenden Klavierbauer von Altona.

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