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17:50 Uhr - 26.09.2014

ABB-CEO: «Energieeffizienz wird zum Schlüsselfaktor»

Ulrich Spiesshofer, CEO von ABB, erwartet vom weltweit wachsenden Druck zum Energiesparen einen neuen Wachstumsschub für den Industriekonzern, wie er im Interview mit der FuW erläutert.

Der Uno-Klimagipfel in New York hat das Thema Energieverbrauch zurück auf die Agenda gebracht. ABB-Chef Ulrich Spiesshofer hat das Problem der wachsenden Umweltbelastung vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen aus der Sicht des Automations- und Energietechnikkonzerns beleuchtet und industrielle Lösungsansätze aufgezeigt. «Die Technologien sind vorhanden. Wenn man sie voll einsetzen würde, könnte man bereits heute den Energiekonsum deutlich senken», sagt der Deutsche, der die operative Führung von ABB (ABBN 21.5 0.23%) vor einem Jahr übernommen hat. Chancen macht er auch weiterhin in erneuerbaren Energien aus, obschon dieser Markt für den Konzern derzeit schwierig ist.

Zur PersonUlrich Spiesshofer war der klare Spitzenkandidat für den CEO-Posten von ABB, als sein Vorgänger Joe Hogan im Mai 2013 überraschend den Rücktritt ankündigte. In Süddeutschland aufgewachsen, hat er an der Universität Stuttgart Ingenieurs- sowie Betriebswissenschaften studiert und 1991 in Ökonomie promoviert. Seine berufliche Laufbahn begann er in der Unternehmensberatung. Dabei war er zunächst für A.T. Kearney tätig und wechselte 2002 zu Roland Berger. Drei Jahre später trat er in die Geschäftsleitung von ABB ein. Dort war er am Anfang für die Unternehmensentwicklung verantwortlich und wurde 2010 zum Chef der Division Industrieautomation und Antriebe ernannt. Unter seiner Führung verdoppelte sich der Umsatz, womit der Bereich zur grössten Sparte der ABB-Gruppe avancierte. Mit der Akquisition des US-Unternehmens Baldor leitete Spiesshofer dabei die grösste Übernahme in der Geschichte von ABB. Am 15. September 2013 trat er dann das Amt des CEO an und ist inzwischen am längsten kontinuierlich in der Konzernleitung. Der Fünfzigjährige ist Vater von zwei Söhnen und ein passionierter Segler und Skifahrer. Herr Spiesshofer, der Klimawandel ist auf lange Sicht eines unserer grössten Probleme. Was nehmen Sie als Vertreter der Schweizer Wirtschaft für Eindrücke aus New York mit?
Die Interessen von Industrie, Politik und nichtstaatlichen Organisationen liegen heute alle auf derselben Linie. Eine solche Einigkeit habe ich noch nie erlebt. Sogar die grossen Ölkonzerne sind viel selbstkritischer als noch vor wenigen Jahren und sich der Verantwortung bewusst, dass wir unsere Wertschöpfungsketten umbauen müssen. Trotz der weitverbreiteten Skepsis macht mir das grosse Hoffnung, dass wir das Problem des Klimawandels doch noch vernünftig lösen können.

Was bedeutet der Klimawandel für einen Energietechnikkonzern wie ABB?
Die zentrale Frage ist, wie die Weltwirtschaft weiter wachsen kann, ohne dass wir unsere Ressourcen verschleissen. Einen wesentlichen Beitrag dazu kann der verstärkte Einsatz energieeffizienter Technologien leisten, mit denen sich der Verbrauch bereits heute deutlich senken lässt. In der globalen Papier-, Zement- und Stromwirtschaft etwa könnten wir mit den derzeitigen Möglichkeiten das Vierzigfache des Schweizer Energiekonsums jährlich einsparen. Entscheidend ist dabei, dass energieeffiziente Technologien bekannter gemacht werden, klare Rahmenbedingungen herrschen, und dass Unternehmen sowie Haushalte ihr Verhalten ändern.

Das klingt ermutigend. Der Wirtschaft geht es aber mehr schlecht als recht, und für viele Unternehmen heisst es Sparen statt Investieren. Findet das Thema Klimawandel da überhaupt Beachtung?
Was Energieeffizienz betrifft, befindet sich gerade Europa trotz der moderaten Konjunkturentwicklung in einem immensen   Öffnungsprozess. Das liegt daran, dass Europa wegen der hohen Energiepreise einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den USA hat. Energieeffizienz wird in der europäischen Wirtschaft daher zu einem Schlüsselfaktor, was in den Unternehmen zum Umdenken führt. Speziell aus der verarbeitenden Industrie kommen Entscheidungsträger mit grosser Sorge auf uns zu und suchen nach Technologien, um den Energieverbrauch zu senken und so die Produktionskosten zu verbessern.

Was kann ihnen ABB bieten?
Unser Know-how macht es möglich, das Wirtschaftswachstum von der Umweltbelastung zu entkoppeln. In der konventionellen Stromerzeugung bieten unsere Übertragungssysteme ausgezeichnete Lösungen, um Übertragungsverluste zu minimieren und Kraftwerke effizienter zu steuern. ABB geht etwas vorsichtiger in die ZukunftEinen wichtigen Beitrag liefern wir ebenso mit Antriebstechniken und Elektromotoren – ein Bereich, auf den in der Industrie rund zwei Drittel des Energieverbrauchs entfallen. Selbst unsere Roboter helfen indirekt mit, die Energieeffizienz zu steigern. Wenn beispielsweise zur Produktion eines Audis dank automatisierter und hochpräziser Lackierung ein halbes Kilo Farbe gespart wird, reduziert das auch die Umweltbelastung.

Viel Sparpotenzial ergibt sich künftig auch in den aufstrebenden Märkten. Wie weit ist dort die Entwicklung?
In Afrika und Indien lebt heute eine Milliarde Menschen ohne Zugang zum Stromnetz. Hier geht es darum, die Elektrizitätsversorgung von Grund auf zu erschliessen. ABB nimmt deshalb Afrika noch mehr in den Fokus. Besonders interessant sind solche Märkte für uns, weil dort meist gar nicht erst in die konventionelle Stromerzeugung eingestiegen, sondern direkt auf erneuerbare Energien gesetzt wird. Wir engagieren uns daher besonders stark in Mikro-Stromnetzen, die dezentral mit lokalen Energiequellen gespeist werden. Dabei spielt die Energiespeicherung eine Hauptrolle, weshalb uns die neue Partnerschaft mit BYD, dem führenden Anbieter von Batterien und Elektrofahrzeugen in China, enorm helfen wird.

Bei den alternativen Energien gab es jedoch schwere Enttäuschungen. Was stimmt Sie so optimistisch?
Im Jahr 2030, und das ist für uns nicht mehr weit weg, wird Solarstrom in 80% der Welt gleich teuer sein wie die Produktion aus Grosskraftwerken. Die Nachfrage nach Solaranlagen hat zwar rasch zugenommen. Gleichzeitig gab es auf der Angebotsseite aber eine Überproduktion, wofür nicht nur Euphorie, sondern auch Subventionen verantwortlich waren. Die Folge war, dass niemand mehr Geld verdiente. Das wird sich aber ausbalancieren, was für ABB spricht. Als Lieferant von Komponenten und Gesamtlösungen sind wir im Solarsektor hervorragend aufgestellt und verfügen über die beste Angebotspalette zwischen den Solarpanels und dem Netz.

Und wie sieht es in der Windenergie aus?
Die mageren Jahre neigen sich dem Ende zu. Im Marktsegment für Offshore-Windanlagen hat sich ABB etwas die Finger verbrannt, weil wir Geschäfte übernommen haben, in denen wir nicht gut sind. Für neue Aufträge haben wir unser Geschäftsmodell deshalb umgebaut und unser Team verstärkt, um die bestehenden Bestellungen sauber abzuarbeiten. Mittel- bis langfristig ergeben sich in der Windenergie für uns attraktive Chancen, zumal wir als  Komponentenhersteller für Windturbinen gut positioniert und bei der Netzanbindung führend sind. Das zeigt der neue Grossauftrag von 800 Mrd. $ für ein Seekabel in Schottland, mit dem Elektrizität aus erneuerbaren Energien übertragen wird.

Die Flaute im Markt für erneuerbare Energien hat der Division Power Systems schwer zu schaffen gemacht. Wie kommt der Turnaround voran?
Mit der neuen Unternehmensstrategie visieren wir für Power Systems auf Stufe  Betriebsgewinn vor Amortisierungen ab 2016 eine Marge von 7 bis 11% an. Wir haben kommuniziert, dass wir 2015 auf dem Weg zu diesem Ziel sein werden und streben im vierten Quartal 2014 ein ausgeglichenes Ergebnis an.

Ein echter Boom spielt sich in den USA mit der Förderung von Gas und Öl aus Schiefergestein ab. Was bedeutet das für ABB?
Wir sind kein Lieferant für Gesamtsysteme für diese Energiequellen, sondern liefern Produkte wie Motoren, Antriebe und Steuerungssysteme an die Gas- und Ölindustrie. Der Schieferboom ist zudem eine kräftige Triebfeder für die Reindustrialisierung Amerikas. Um dort die Präsenz auszubauen, hat ABB in den letzten Jahren über 10 Mrd. $ investiert. Wir haben damit genau den richtigen Zeitpunkt erwischt, denn mit der industriellen Renaissance gehen bedeutende Investitionen in die Strominfrastruktur einher, wo ABB in den USA die Nummer eins ist. Das macht mich sehr zuversichtlich, wenn ich mir die Pipeline an Industrieprojekten ansehe.

Im ersten Halbjahr war von einer Aufhellung des Investitionsklimas aber wenig zu spüren. Wie hat sich der Auftragseingang im dritten Quartal entwickelt?
Dazu kennen wir die Zahlen noch nicht.  Im letzten Quartal hat der Bestellungseingang von ABB aber bereits deutlich angezogen. Das hat damit zu tun, dass wir in einzelnen Märkten eine Erholung sehen, auch wenn das natürlich noch nicht überall der Fall ist. Zudem zahlt sich aus, dass wir unsere Hausaufgaben gemacht haben und uns vermehrt auf organisches Wachstum konzentrieren.

Was können Investoren also auf mittlere bis lange Sicht von ABB erwarten?
Unser Gesamtmarkt umfasst ein jährliches Volumen von 600 Mrd. $. In den kommenden sechs Jahren wird er auf 750 Mrd. wachsen, was drei bis vier Konzernen unserer Grössenordnung entspricht. Um den Markt mache ich mir daher kaum Sorgen. Viel wichtiger ist, wie wir ihn am besten erschliessen. Ich erwarte, dass unser Wachstum künftig zu drei Vierteln aus den Sektoren Industrie, Transport und Infrastruktur kommt und der Rest auf das klassische Geschäft mit der Elektrizitätsversorgung entfällt. Der Schwerpunkt von ABB wird sich dadurch weiter in Richtung Automation verlagern, wonach wir unsere Ressourcen entsprechend ausrichten.

Dennoch haben Sie die Wachstumsprognose vor zwei Wochen etwas nach unten auf 4 bis 7% pro Jahr korrigiert. Das klingt nicht gerade nach Aufbruch.
Wir stehen für ambitionierte, aber realistische Ziele. Vergleicht man unser erreichtes organisches Wachstum der letzten Jahre mit den neuen Vorgaben, ist das keine Verlangsamung, sondern eine Beschleunigung auf ein Mehrfaches des globalen Wirtschaftswachstums. Hier in den USA habe ich bei Treffen mit Investoren ein gutes Feedback erhalten. Unsere Ziele seien in diesem Umfeld ambitiös und realistisch, hiess es.

Branchennachbarn wie Siemens (SIE 93.91 0.69%) und General Electric (GE 25.51 -0.16%) haben zuletzt grössere Übernahmen oder Portfoliobereinigungen angekündigt. Was hat ABB vor?
Wir setzen klare Prioritäten: An erster Stelle steht organisches Wachstum. Deshalb werden primär in die Forschung und Entwicklung sowie in Kapitalanlagen investieren. Nummer zwei ist eine verlässliche Dividendenpolitik, was heute für Investoren besonders wichtig ist. Danach kommen Akquisitionen und zusätzliche Kapitalrückgaben, wie das 4 Mrd. $ grosse Aktienrückkaufprogramm, das wir in London angekündigt haben. Operativ haben wir derzeit mit dem Konzernbereich Power Systems, der neuen Organisation sowie der Integration der Grossakquisitionen Thomas & Betts sowie Power One genug zu tun. Mittelfristig wird das Thema Übernahmen dann aber wieder aktuell.

Der Rückkauf hat den Aktien ABB nur anfänglich Auftrieb verliehen. Wie interpretieren Sie, dass der Kurs in den letzten zwölf Monaten stagniert hat?
Trotz der Enttäuschung in der Division Power Systems konnten wir den Kurs stabil halten. Wenn die Reorganisation dieses Geschäftsbereichs vollständig abgeschlossen ist, wird ABB auch beim Aktienkurs wieder Gas geben.

ABB geht etwas vorsichtiger in die ZukunftABB ist gut unterwegs, sieht man einmal von den Problemen in der Division Energietechniksysteme ab. Sie haben dem Automations- und Energietechnikkonzern im zweiten Quartal 2014 den Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda; –15% im Vorjahresvergleich auf 1,3 Mrd. $) und den Reingewinn (–17% auf 636 Mio. $) verhagelt. Der Turnaround in der noch Verluste schreibenden Problemdivision soll aber vor der Tür stehen. Erwartet wird, dass der Bereich für das kommende vierte Quartal wieder schwarze Zahlen ausweist.

Schwierigkeiten verursachten Grossprojekte in der Offshore-Windindustrie und im Solarsektor, bei denen ABB als Generalunternehmen fungiert (sogenannte EPC-Projekte). Als Folge davon wurde die Divisionsleitung ausgewechselt. Der neue Chef der Sparte ergriff Massnahmen, um die Risiken im Portfolio zu mindern und die Kapazitäten anzupassen. Neben dem Ausstieg aus dem EPC-Geschäft in der Solarindustrie implementiert ABB nun ein neues Geschäftsmodell für EPC-Projekte im Offshore-Windsegment, das das Eingehen von Partnerschaften zur Risikoteilung vorsieht.

Risikominderung ist ein wichtiger Bestandteil der überarbeiteten Strategie von ABB, die im September vorgestellt wurde. Weiter sieht die Strategie eine Verlagerung auf wachstumsstarke Endmärkte und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit vor. Den starken Fokus auf organisches Wachstum will ABB durch Akquisitionen ergänzen. Auch werden Kooperationen mit Partnern, die gut zur Unternehmenskultur passen, eine grössere Rolle spielen. Die neue Strategie von ABB zielt auf solides Wachstum und hohe Profitabilität in einem Umfeld mit gedämpfter Wachstumsdynamik ab. Letzteres hat den Konzern dazu veranlasst, die Ziele für die Periode 2015 bis 2020 gegenüber den Vorgaben für den Zeitraum 2011 bis 2015 etwas zurückzunehmen. ABB strebt nun eine jährliche Steigerung des Gewinns pro Aktie um 10 bis 15% sowie eine Cashflow-Rendite auf das investierte Kapital (CROI) im mittleren Zehnerprozentbereich an. Der Umsatz soll auf vergleichbarer Basis um 4 bis 7% pro Jahr wachsen und damit das vorhergesagte BIP- und Marktwachstum übertreffen. Zudem strebt ABB eine Ebita-Marge zwischen 11 und 16% an. Dabei soll eine durchschnittliche Free Cashflow Conversion von über 90% erreicht werden.

Die Vorgaben zu Umsatzwachstum und Margen für 2015 bis 2020 sind etwas niedriger als für die vergangene Zielperiode: Da wurde ein Zuwachs von 5,5 bis 8,5% angepeilt, und die Margenzielbreite erreichte bis 17%. Aber auch die neuen, niedrigeren Zielwerte bedingen, dass ABB ihre Märkte stärker durchdringen kann und innovativer ist als die Konkurrenz. An der starken Cash-Generierung werden die Aktionäre über ein Aktienrückkaufprogramm in der Höhe von 4 Mrd. $ beteiligt. Das Programm wurde Mitte September gestartet und soll zwei Jahre dauern.

Vorerst wird es dieses Aktienrückkaufprogramm sein, das dem Kurs der ABB-Titel Halt verleiht. Damit aber richtig Bewegung in die Valoren kommt, muss es Anzeichen dafür geben, dass die Kunden von ABB wieder stärker investieren. Doch solche Anzeichen fehlen einstweilen noch.

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