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12:05 Uhr - 07.07.2015

«Griechenland kann das Montenegro-Modell kopieren»

Der deutsche Ökonom Thomas Mayer erläutert im Interview mit FuW Szenarien für Griechenland nach dem Referendum-Nein. Eines davon ist der Grexit, ohne auf den Euro als Bargeld zu verzichten.

Herr Mayer, stimmt es, dass auch Sie, wären Sie Grieche, am Sonntag mit Nein gestimmt hätten?
Seien wir ehrlich. Bei einem Ja wäre das Ganze in eine unendliche Schlaufe gegangen. Man hätte weiter verhandelt über ein neues Paket, das ähnlich ausgesehen hätte wie das alte Anpassungsprogramm. Die Aussichten, dass sich daraus etwas Positives entwickelt, wären gering gewesen. Besser, man zieht einen Schlussstrich und fängt neu an.

Können Sie sich vorstellen, dass jetzt wirklich ein neues, andersartiges Paket beschlossen wird?
Der Druck Frankreichs und der Europäischen Kommission, die Griechen weiter in den Gesprächen zu halten, wird enorm gross sein. Für Deutschland wird das zum Problem. Die Kanzlerin hat sich auf ein Verfahren festgelegt, indem sie die Hilfe nur gegen Auflagen vergeben wollte. Aber die anderen sehen das etwas anders.

Setzt sich der griechische Premier Tsipras durch?
Tsipras ging es darum, eine Finanzhilfe zu seinen Konditionen zu bekommen. Mit der Unterstützung anderer Länder könnte ihm das vielleicht sogar gelingen.

Aber das bedeutet, dass Deutschland zurückstecken müsste.
Die Kanzlerin steht innenpolitisch enorm unter Druck. Ihre Versprechen, dass Hilfen nur gegen Auflagen vergeben werden, dass diese Auflagen nicht verhandelbar sind und dass sich die Länder nicht aus den Bedingungen davonstehlen können: All das ist jetzt schwer aufrechtzuerhalten. Da wird sie Schwierigkeiten in der deutschen Debatte haben. Nichtsdestotrotz wird der Druck auf Deutschland zunehmen, die Griechen im Euro zu erhalten.

Mit Erfolg?
Das wird der erste Versuch sein, der unternommen wird. Frankreich, Italien und einige Kleine wären gar nicht so unzufrieden, wenn das Regelwerk und die Budgetrestriktionen aufgeweicht würden. Auf der anderen Seite stehen Deutschland, Holland, die Balten, Slowenien und andere, die werden so einer Entwicklung mit äusserstem Misstrauen gegenüberstehen. Das wäre die erste Runde. Es kann durchaus sein, dass die Euroländer sich über die Griechenlandfrage spalten.

Das sieht nach einem langen Prozess aus. Aber was geschieht in der Zwischenzeit?
Die EZB wird stillhalten und die ELA weder erhöhen noch einfordern. Sie will sich nicht vorwagen, sondern der Politik den Vortritt überlassen. Es könnte also sein, dass die EZB, solange die Euroländer sich nicht einig sind, wie es weitergeht, in Wartestellung verbleibt. Dann muss es aber weiter starke Begrenzungen für Abhebungen bei griechischen Banken geben, selbst wenn sie wieder geöffnet werden.

Wie lange reicht das Geld denn noch?
Griechenland ist mit Bargeld gar nicht so schlecht ausgestattet. Die Menschen haben recht viel Geld abgehoben. Es käme darauf an, dass Tsipras die Bevölkerung dazu bringt, Vertrauen in seine Politik zu hegen. Wenn Vertrauen vorhanden ist, dann wird kein Bargeld mehr gehortet und dafür der unbare Zahlungsverkehr genutzt.

Das gegenteilige Szenario scheint hingegen wahrscheinlicher zu werden: Welchen Ereignisablauf muss man sich vorstellen, damit es zum Grexit kommt?
Die erste Phase wäre, dass die Euroländer in unterschiedliche Lager zerfallen und nicht wissen, wie sie weitermachen sollen. Angenommen, die Befürworter eines harten Kurses setzen sich durch. Dann hätten die Griechen die Möglichkeit, trotzdem den Euro zu behalten, wenn sie sich an den Europäern schadlos halten würden.

Wie ist das zu verstehen?
Athen hat Ende Juni schon mal einen Zahlungsausfall gegenüber dem IWF hingelegt. Vermutlich wird es auch zu einem Zahlungsausfall gegenüber der EZB kommen, am 20. Juli. Die Regierung könnte sagen: Ich gehe einen Schritt weiter und zwinge die griechische Notenbank, die Notliquidität ELA den griechischen Banken zu erlassen. Das wäre natürlich ein brutaler Eingriff in das Eurosystem. Aber sobald die ELA erlassen würde, müsste sie im Gegenzug ihre Verbindlichkeiten gegenüber der EZB, die über das Target-Zahlungssystem bestehen, streichen. Dann wäre man wahrscheinlich de facto raus aus dem Euro, wenn auch nicht formal.

Mit welchem Nutzen?
Die Bank von Griechenland hat gegenüber dem Eurosystem Target-Verbindlichkeiten von rund 100 Mrd. €. Wenn die gestrichen werden, verfügt sie über eine beachtliche Manövriermasse im Inland. Wenn den griechischen Banken alle ELA erlassen werden, also rund 90 Mrd. €, dann müssten sie in der Lage sein, aus dem griechischen Bankensystem eine Good Bank auszuschälen. Denn die notleidenden Kredite werden auf etwa 80 bis 90 Mrd. € geschätzt. Dann hätte man ein relativ gesundes Bankensystem.

Ist das so einfach?
Nun kommt das grosse Wenn. Wenn es Tsipras gelingen würde, der Bevölkerung Mut und Vertrauen zuzusprechen, dann wäre es möglich, dass Griechenland weiterhin seinen Zahlungsverkehr über Girokonten abwickelt und eine übliche Bargeldhaltung besteht. Es könnte ein Euro-Geldkreislauf aufgebaut werden. Ich nenne es das Montenegro-Modell. Montenegro ist ein kleines Land im Balkan, weder Mitglied der Eurozone noch der EU, verwendet aber den Euro als Währung. Wenn die griechische Regierung einen ganz kühlen Kopf bewahren würde, könnte sie das Montenegro-Modell laufen lassen.

Aber dann muss Griechenland ohne Hilfe auskommen.
Die Regierung könnte im Prinzip ohne neue Schulden auskommen, wenn sie sich weiter genau so verhalten würde wie zuletzt. Von Januar bis Mai hatte der griechische Staat einen Primärüberschuss von 1,5 Mrd. €. Mit einem Primärüberschuss müssen Sie keinen neuen Schuldendienst leisten. Auch die Leistungsbilanz war in dieser Zeit saisonbereinigt leicht im Überschuss. Griechenland bräuchte also auch keine ausländischen Kapitalzuflüsse, um die Leistungsbilanz auszugleichen. Das Montenegro-Modell ist möglich, aber es würde die Gläubiger natürlich fürchterlich ärgern.

Könnte die EZB die umlaufenden griechischen Eurobanknoten nicht aus Protest einsammeln?
Nein, das ist nicht möglich. Die Noten sind nicht nach Ländern, sondern nach Banknotenbedarf ausgegeben worden. Da kommen Sie nicht mehr dran. Aber die Gläubiger könnten den Griechen natürlich mit einem Rausschmiss aus der EU drohen. Oder sie international verklagen. Aber würde man das wirklich wollen? Muss man nicht befürchten, dass Griechenland dann in ein anderes politisches Lager abdriftet? Es wäre eine äusserst unfreundliche Massnahme seitens der Griechen, aber man könnte es darstellen als etwas, was alternativlos ist. Die Griechen könnten sagen: Wir hatten keine andere Wahl. Man hat uns in die Enge getrieben.

Ist das auch die beste Variante für den Grexit, sollte es zum Ausstieg kommen?
Es wäre die Variante, die die geringsten Störungen verursachen würde. Die Alternative, einen Zahlungsausfall zu provozieren und eine neue Währung auszugeben, ginge viel weiter. Sie wäre auch nicht von der griechischen Bevölkerung gewünscht, denn die will ja gar keine neue Währung, sondern will den Euro behalten.

Bringt sich Griechenland bei einem Montenegro-Modell denn nicht um seinen Abwertungsvorteil?
In der Tat, eine Euroabwertung erreicht man nur über eine neue Währung oder über eine Parallelwährung. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob eine Abwertung in Griechenland wirklich den wirtschaftlichen Schub auslöst. Die interne Abwertung ist bereits weit fortgeschritten, sodass eine weitere Abwertung nicht mehr viel bringen würde. Die Löhne sind gefallen, die Produktionskosten gesunken. Das wurde an die Preise weitergegeben.

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