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17:38 Uhr - 23.11.2017

Die SNB will keinen unfairen Vorteil

Nationalbankpräsident Thomas Jordan erklärt, die SNB verfolge nicht das Ziel, die Schweizer Exporteure zu begünstigen. Kritik am hohen Aussenhandelsüberschuss sei nicht gerechtfertigt.

Die Diskussion über eine unfaire Währungspolitik einzelner Länder habe sich in den letzten Jahren intensiviert, erklärte Thomas Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Er referierte am Donnerstag an der Universität Basel und argumentierte: «Unsere Geldpolitik mit dem Negativzins und der Bereitschaft, bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren, verfolgt nicht das Ziel, der Schweiz einen unfairen Vorteil im internationalen Güteraustausch zu verschaffen.»

Die Schweiz befinde sich seit 2016 auf einer Überwachungsliste des US-Finanzministeriums. Sie werde zwar nicht als Währungsmanipulator bezeichnet, stehe indes unter besonderer Beobachtung (lesen Sie hier mehr dazu). Jordan: «Wir pflegen in dieser Sache einen konstruktiven Austausch mit den zuständigen Regierungsstellen der USA.»

Will die SNB die Exporteure begünstigen?

Einige Beobachter prangerten die Schweiz immer wieder an, erläutert Jordan gemäss Redetext. Grund dafür sei ihr Überschuss im Aussenhandel respektive in der Leistungsbilanz. Im Brennpunkt dieser Kritik stehe die Geldpolitik der SNB, die den Franken schwäche.

Gemäss der einfachen Lehrbuchbetrachtung weise der Leistungsbilanzüberschuss eines Landes auf eine unterbewertete Währung hin. Um den Überschuss in der Zukunft auszugleichen, müsste die Währung aufwerten, wodurch die Exporte sinken.

Lehrbuch kontra Nationalbank

Im Kontrast dazu stehe die Einschätzung der SNB, dass der Franken schon seit Jahren hoch bewertet sei, zeitweise sogar massiv überbewertet, sagt Jordan. «Folgerichtig ist unsere Geldpolitik weiterhin darauf ausgerichtet, den Druck auf den Franken zu reduzieren und Anlagen in Franken weniger attraktiv zu machen.»

Der Überschuss in der Leistungsbilanz verlangt also gemäss Lehrbuch einen stärkeren Franken. Doch die SNB stemmt sich gegen eine Aufwertung. Jordan stellt die rhetorische Frage: «Ist der Überschuss der Schweiz allenfalls sogar ein Ergebnis einer Geldpolitik, die den Wechselkurs bewusst nach unten drückt, mit dem Ziel, die Exporte anzukurbeln?»

Sonderfall Schweiz

Im besonderen Fall der Schweiz sei der Überschuss in der Leistungsbilanz nicht geeignet für die Beurteilung der Handelsströme und auch kein guter Indikator für die Ausrichtung der Geldpolitik, sagt Jordan.

«Hätten wir uns in den letzten Jahren an der Entwicklung der Leistungsbilanz orientiert, hätten wir eine noch stärkere Aufwertung des Frankens zulassen müssen. Damit wäre es zu einer Rezession und zu fallenden Preisen gekommen», erläutert der SNB-Präsident. Zudem hätte sich der Leistungsbilanzüberschuss auch mit einem deutlich stärkeren Franken nicht wesentlich abgebaut.

Statistisch verzerrt und strukturell bedingt

Den Grund für den Sonderfall Schweiz legt Jordan folgendermassen dar: Der nach internationalen Standards ausgewiesene Leistungsbilanzüberschuss der Schweiz sei zu einem wesentlichen Teil auf statistische Verzerrungen sowie auf strukturelle und vom Wechselkurs wenig beeinflussbare Faktoren zurückzuführen.

Pharmabranche und Transithandel

Der Schweizer Leistungsbilanzüberschuss werde seit einiger Zeit hauptsächlich von zwei Branchen getrieben – der Pharmaindustrie und dem Transithandel, sagt Jordan.

Bemerkenswert sei, dass die Exporte dieser zwei Branchen in den letzten zehn Jahren trotz der gleichzeitigen Frankenaufwertung stark zugenommen hätten. Das stehe im Gegensatz zu vielen wechselkurssensitiven Branchen wie beispielsweise der Maschinenindustrie oder dem Tourismus, die unter der Frankenstärke spürbar gelitten hätten.

Die Pharmaindustrie habe in den letzten Jahren von einer steigenden Nachfrage nach Gesundheitsprodukten aus der ganzen Welt profitiert. Die Nachfrage reagiere nur wenig auf den Preis respektive den Wechselkurs. Gleichzeitig habe sich die Schweiz zu einem führenden Zentrum im globalen Rohstoffhandel entwickelt.

Jordan erklärt, von 2007 bis 2016 seien die Nettoexporte von Waren um 23 Mrd. Fr. gestiegen. Diese Zunahme sei hauptsächlich auf die Pharmaindustrie und den Transithandel zurückzuführen.

Umfangreiche Altersvorsorge

Ein struktureller Faktor sei die Alterung der Bevölkerung, sagt Jordan. Die Lebenserwartung sei in den letzten 45 Jahren stark gestiegen. Mehr als 35% der Schweizer Bevölkerung seien zurzeit zwischen 40 und 64 Jahre alt. «Genau diese Kohorte weist die höchste Sparneigung auf.»

Dazu komme eine relativ solide finanzierte berufliche Vorsorge, die in der Schweiz als eine der wenigen in der Welt obligatorisch sei. Dieses System helfe, Ersparnisse anzusammeln.

Wenn ein Land aber mehr spare, als es im Inland investiere, fliesse das überschüssige Kapital ins Ausland, erläutert Jordan. Dieser Kapitalabfluss entspreche dem Leistungsbilanzüberschuss. Jordan folgert, der Sparüberschuss der Schweiz sei «im Lichte der demografischen Entwicklung und einer solide finanzierten Altersvorsorge durchaus gerechtfertigt».

Wenn multinationale Unternehmen investieren

Statistische Verzerrungen gebe es zwei, sagt Jordan. In der Schweiz seien im Vergleich zur Grösse des Landes überdurchschnittlich viele Hauptsitze multinationaler Unternehmen domiziliert, d.h. grosse börsenkotierte Unternehmen mit umfangreichen Aktivitäten in der ganzen Welt. Ein wesentlicher Teil dieser Unternehmen sei im Streubesitz ausländischer Investoren.

Solche von ausländischen Investoren beherrschten Unternehmen könnten substanzielle Teile ihrer Gewinne reinvestieren (statt als Dividenden auszuschütten). Diese Investitionen würden vollumfänglich der Schweiz zugeordnet, obwohl ein grosser Teil eigentlich den ausländischen Investoren gehöre.

Die geringe Inflation verzerrt das Vermögenseinkommen

Die zweite Verzerrung sei auf unsere tiefe Inflation zurückzuführen, erklärt Jordan. Die Inflation, und damit die Nominalzinsen, lägen im Ausland traditionell höher als in der Schweiz. Deshalb erwirtschafte die Schweiz ein höheres nominales Einkommen auf ihren ausländischen Vermögenswerten als das Ausland auf seinen Vermögenswerten in der Schweiz.

Die höheren Nominalzinsen im Ausland blähten also den Leistungsbilanzsaldo der Schweiz auf. Tatsächlich führe das aber nicht zu einer längerfristigen Zunahme des Schweizer Auslandvermögens. Wegen der höheren Inflation im Ausland werte sich der Franken in der Tendenz nominal auf, was das Schweizer Auslandvermögen wiederum verringere.

Der Leistungsbilanzsaldo der Schweiz werde also zu gross ausgewiesen, weil die nominale Aufwertung des Frankens nicht berücksichtigt sei.

Mit Blick auf die internationalen Konzerne und die Inflation resümiert Jordan: «Korrigiert man nun die Leistungsbilanz um diese beiden statistischen Verzerrungen, halbiert sich der Überschuss nahezu.»

Die SNB richtet sich nicht nach der Leistungsbilanz

Der anhaltend hohe Leistungsbilanzüberschuss der Schweiz sei nicht Ausdruck eines zu schwachen Frankens, fasst Jordan seine Ausführungen zusammen. Erklären lasse sich der Überschuss durch statistische Verzerrungen bei multinationalen Unternehmen und wegen der tiefen Inflation, durch strukturelle Gründe wie die rasch alternde Bevölkerung und durch die Dominanz der zwei Branchen Pharma und Transithandel, deren Exporte kaum auf Wechselkursveränderungen reagierten.

Jordans Fazit: Die Leistungsbilanz der Schweiz könne weder für die Beurteilung des fairen Aussenwerts des Frankens herangezogen werden, noch könne sie die Risiken in Bezug auf die Preisstabilität und die Konjunktur angemessen abbilden. «Die SNB richtet ihre Geldpolitik deshalb auch nicht nach der Leistungsbilanz aus.»

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