Die Schwellenländer kommen nicht zur Ruhe. Der brasilianische Real ist markant gefallen. Schuld sind interne Entwicklungen und der stärkere Dollar.
Kaum hat sich der Dollar etwas erholt, kommen die Schwellenländer unter die Räder.
Die Türkei kämpft seit Wochen mit aggressiven Zinserhöhungen gegen den weiteren Verfall der Lira. Argentinien musste beim Internationalen Währungsfonds einen Notkredit beantragen.
Mit Brasilien ist in den vergangenen Wochen ein wirtschaftliches Schwergewicht in die Abwärtsspirale geraten. Die Landeswährung Real hat sich zwischen Mitte Mai und Anfang Juni zum Dollar fast 10% abgewertet. Seit Ende Januar beträgt der Verlust rund ein Fünftel. Und das, obwohl sich die für das Land so wichtigen Rohstoffpreise erholt haben.
Für 1 $ mussten die Brasilianer zeitweise fast wieder 4 Real hinlegen. So wenig wert war die Währung zuletzt Anfang 2016, als Brasilien in die schärfste Rezession seit Aufzeichnung glitt. Am Freitag erholte sich der Real auf 3.70 Real/$, nachdem die Zentralbank aggressivere Interventionen am Devisenmarkt angekündigt hatte.
Börse unter Druck
Der rasche Wertverfall des Reals versetzt auch die Börsianer in Panik. Seit Mitte Mai ist der Leitindex Bovespa (Bovespa 72942.0729 -1.23%) 15% eingebrochen. In Dollar beträgt der Verlust über die letzten drei Monate 30%.
Experten sehen verschiedene Gründe für die Verwerfungen. Der Dollar hat sich in den letzten Wochen erholt, und die US-Zinsen steigen. Die Investoren beginnen, ihre Positionen den Schwellenländern zu überdenken. «Der Risikoappetit auf Schwellenländeranlagen ist zurückgegangen», sagt Enzo Puntillo, Schwellenländer-Fondsmanager bei GAM (GAM 14.76 -1.34%). Das bedeutet: Das Kapital fliesst vermehrt aus den Emerging Markets zurück in den Dollarraum.
Länder mit schwachen Fundamentaldaten sind besonders betroffen. Argentinien und die Türkei leiden nicht nur unter hoher Inflation, sondern weisen auch ein hohes Leistungsbilanzdefizit aus. Das macht sie von der Finanzierung aus dem Ausland abhängig. Fliesst zu wenig Kapital ins Land, muss entweder die Zentralbank mit dem Kauf von Devisen intervenieren, oder der Wechselkurs fällt.
Dass es nun den Real erwischt hat, hat ebenfalls lokale Ursachen. Zwar ist Brasiliens Leistungsbilanz mit einem Defizit von weniger als 1% des BIP in etwa ausgeglichen, doch dafür klafft in der Staatskasse ein grosses Loch.
Regierung will Staatshaushalt sanieren
Société Générale (GLE 0 0%) rechnet in diesem Jahr mit einem Haushaltsdefizit von 6,8%, nach 7,8% im Vorjahr. Damit würde die Staatsverschuldung auf 77% des BIP steigen.
Die Sanierung der öffentlichen Finanzen ist ein vorrangiges Ziel der Regierung von Michel Temer. Doch ohne kräftiges Wirtschaftswachstum wird es schwierig werden, den Anstieg der Schuldenquote zu verhindern.
Wirtschaft fasst nicht Tritt
Doch genau darin liegt das Problem. Brasiliens Wirtschaft findet seit der Rezession nicht mehr richtig Tritt: Im ersten Quartal wuchs das BIP magere 1,2% gegenüber Vorjahr, nach 2,1% im Vorquartal.
Ausserdem ist die Fortsetzung der Sparmassnahmen ungewiss. Im Herbst finden Wahlen statt. Der derzeit inhaftierte Ex-Präsident Lula da Silva erzielt in den Umfragen die besten Werte.
«Die politische Unsicherheit belastet die Situation zusätzlich», sagt Puntillo. Die aktuellen Streiks und die Krise von Petrobras (PETR4 3.54 4.12%) seien ebenfalls nicht gerade dem Vertrauen förderlich.
Aufstand der Trucker
Der staatliche Erdölkonzern begann vor zwei Jahren, die zuvor subventionierten Dieselpreise gemäss den internationalen Rohölnotierungen zu setzen. Der Preisanstieg löste eine nationale Streikwelle bei den Lastwagenfahrern aus, wodurch praktisch die ganze Logistik lahmgelegt wurde. Die Ökonomen von Oxford Economics schätzen, dass die Wirtschaft deswegen im zweiten Quartal schrumpfen wird.
Petrobras’ Chef Pedro Parente musste unterdessen wegen der Krise zurücktreten. Der Aktienkurs hat sich fast halbiert.
Puntillo sieht noch einen anderen Faktor für die Schwäche des Reals: den argentinischen Peso. «Wenn sich eine Währung so stark abwertet wie in Argentinien, verursacht das immer auch Druck auf die anderen Währungen der Region», erklärt der Schwellenländerspezialist.
Ein Teufelskreis von Abwertung und Kapitalabfluss
Die Schwäche vieler Schwellenländerwährungen setzt auch den Anleihenfonds zu. Laut dem internationalen Bankenverband Institute of International Finance haben Anleger in Mai rund 4 Mrd. $ aus Schwellenländer-Bond-Fonds abgezogen. Das wiederum erhöht den Druck auf die Währungen weiter.
Von einer ausgewachsenen Schwellenländerkrise zu sprechen, wäre allerdings noch zu früh. Noch halten sich besonders die asiatischen Währungen unbeschadet. Der russische Rubel und der kolumbianische Peso profitieren vom höheren Erdölpreis. Dennoch ist die Lage heikel.
Argentinien und die Türkei mögen Spezialfälle sein. Der Absturz Brasiliens macht nun aber deutlich, dass das Ansteckungsrisiko gestiegen ist.
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