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13:30 Uhr - 17.11.2015

«Bewertung spricht für Schwellenländer»

Robert Arnott, Gründer und CEO von Research Affiliates, im Interview mit «Finanz und Wirtschaft» über den Siegeszug von Smart Beta, attraktiv bewertete Aktienmärkte und Risiken einer Blasenbildung.

Robert Arnott zählt zu den Vorreitern des Smart-Beta-Trends – eines Bündels von Anlagestrategien, die sich mit alternativen Formen der Indexgewichtung befassen. FuW hat sich auf Einladung der Investmentgesellschaft Pimco in London mit dem US-Ökonomen getroffen.

Herr Arnott, eine Börsenregel besagt: «Never catch a falling knife.» Riskiert man mit fundamentalen Smart-Beta-Strategien nicht erst recht, auf schwache Einzeltitel zu setzen, die sich im Abwärtssog befinden?
Zur PersonIn seiner Karriere hat Robert Arnott (Jahrgang 1954) erfolgreich die Brücke zwischen akademischer Forschung und der Finanzindustrie geschlagen. Sein Renommee verdankt er über hundert teilweise preisgekrönten Forschungsartikeln zu Themen wie Aktienrisikoprämien, Asset Allocation, alternativen Wegen der Indexgestaltung oder Auswirkungen demographischer Trends auf Volkswirtschaften.

2002 gründet er Research Affiliates (RA). Das forschungsbasierte Finanzunternehmen arbeitet mit diversen Asset-Managern und Indexanbietern zusammen – darunter Invesco PowerShares, Pimco, Lyxor und FTSE –, die Produkte, basierend auf Anlageideen und Strategien von RA, lancieren. Per Ende Juni 2015 beläuft sich das globale Volumen auf rund 174 Mrd. $. (FH)
In ihrer passiven Grundform sind fundamentale Indizes tatsächlich anfällig für «Falling Knives». Man kauft Aktien, die aus bestimmten Gründen relativ zum ökonomischen Fussabdruck des Unternehmens günstig sind. Fakt ist aber: Es kommt häufiger vor, dass die Titel wieder auf angemessene Kurse hochschiessen, als dass sie auf null fallen. Wie etwa am Höhepunkt der Finanzkrise 2009: Die grössten Zukäufe in den USA für die Indexneugewichtung waren Bank of America (BAC 17.43 1.34%), Citigroup (C 53.69 0.98%) und General Motors (GM 35.17 2.51%). Die ersten zwei verdreifachten sich in den folgenden sechs Monaten, die Letztere ging auf null.

Gibt es dennoch Möglichkeiten, die Risiken zu reduzieren?
Ja. Indem man in der Aktiengewichtung weitere Qualitätsmerkmale berücksichtigt – wie etwa die Solidität des Gewinns, die Profitmargen, die Verschuldung oder das Nettobetriebsvermögen. Es heisst nicht, dass Titel, die dabei schlecht abschneiden, nicht im Portfolio berücksichtigt werden sollten. Aber ihre Gewichtung wird deutlich verringert. Das ist ein Beispiel dafür, wie wir in den mit Pimco aufgelegten RAE-Fundamental-Strategien den fundamentalen Ansatz zu verbessern suchen.

Ein wichtiger Erfolgsfaktor für Smart Beta ist die Mean Reversion – also die Rückkehr gewisser Kenngrössen zum historischen Mittel. Welche Treiber sind hier am Werk?
Die nach Marktkapitalisierung grössten Konzerne in einem Sektor ziehen oft unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich. Sie sind nicht nur Zielscheibe der Konkurrenz, sondern auch der Regulatoren. Zudem ist es für sie allein schon wegen ihrer Grösse deutlich schwieriger, agil und flexibel zu sein, als für die Nummer fünf oder sechs. Auch sind die grössten Unternehmen in einem Markt meistens höher bewertet. Aus all diesen Gründen tendieren die Aktien führender Konzerne dazu, die Investoren zu enttäuschen.

Lässt sich dieser Effekt quantifizieren?
Unsere Analysen haben gezeigt, dass die jeweils nach Marktkapitalisierung grössten Unternehmen – egal, in welchem Sektor – den Markt durchschnittlich um 3 bis 5 Prozentpunkte pro Jahr unterperformen. Und das über eine ganze Dekade.

Was heisst das im Fall von Apple, dem zurzeit wertvollsten börsengehandelten Unternehmen der Welt?
Apples ökonomischer Fussabdruck beträgt – gemessen an mehreren Faktoren wie Umsatz, Gewinn, Buchwert oder Dividende – rund 0,5% des Weltmarktes. Der Anteil am globalen Börsenwert liegt gegenwärtig jedoch bei 2%. Die Investoren weisen dem Konzern also Erwartungen zu, die das Vierfache der aktuellen Grösse betragen. Das könnte sich zwar durchaus so entwickeln, ist in den Aktien allerdings bereits eingepreist. Sollte das Szenario dagegen nicht eintreffen, wird der Titel enttäuschen und den Markt unterperformen.

Sie haben jüngst geschrieben, die aktuelle Divergenz zwischen Value- und Growth-Aktien sei nicht unähnlich wie 1999. Befinden wir uns bereits wieder in einer Blase?
Die aktuellen Übertreibungen sind nicht so stark wie während der Dotcom Bubble. Allerdings ist die damalige Blase auch die grösste, die der Kapitalmarkt in seiner Geschichte je erlebt hat. Übertreibungen finden gegenwärtig in einem kleinen Segment des Marktes statt – in einer Gruppe von Tech-Unternehmen, die noch keinen Gewinn schreiben respektive nicht einmal Aussicht auf Profit haben.

Würden Sie auch Amazon dazu zählen?
Ja. Vor kurzem hat der Onlinehändler erstmals vier profitable Quartale hintereinander erreicht, bei einem kumulierten Gewinn von rund 200 Mio. $. Das wirkt vielleicht wie ein nettes Sümmchen – bis man diesen Profit mit dem aktuellen Börsenwert von rund 300 Mrd. $ vergleicht. Der Markt leistet eine brillante Arbeit, Unternehmen zu identifizieren, die sich in der Realwirtschaft durchsetzen. Die Investoren bezahlen für solche Unternehmen aber eine so hohe Prämie, dass diese Titel anschliessend unterperformen.

Nennen Sie bitte weitere Beispiele.
Nehmen wir Cisco Systems (CSCO 26.79 2.21%), deren operatives Geschäft zwischen 2000 bis 2003 um rund 50% wuchs. Im selben Zeitraum brach der Aktienkurs 86% ein. Das Unternehmen rechtfertigte während des Booms durchaus eine Prämie, aber beileibe nicht ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von über 200.

Fundamentales Indexing erfährt von renommierter Seite öfters Kritik. Wie etwa vom US-Ökonomen Burton Malkiel, der die Überrendite primär auf ein höheres Risikoexposure zurückführt.
Burt schreibt den Erfolg von fundamentalem Indexing primär der Übergewichtung von Value-Titeln und Small Caps zu – und dem dadurch erhöhten Risiko im Portfolio. Die kumulierte Volatilität fundamentaler Indizes liegt – seit wir vor über zehn Jahren damit begonnen haben – vielleicht ein bis zwei Prozentpunkte höher als im S&P 500 (SP500 2053.19 1.49%). Das ist alles. Die Differenz ist winzig. In den Emerging Markets fällt die Volatilität in fundamentalen Indizes sogar geringer aus als bei den nach Marktkapitalisierung gewichteten Indizes.

Was entgegnen Sie auf die Kritik, dass es sich bei fundamentalen Indizes nur um eine verkappte Value-Strategie handelt?
Tatsächlich gibt es eine Übergewichtung von Value. Allerdings ist sie dynamisch. Bezahlt der Markt nur eine kleine Prämie für Wachstumstitel, ist unsere Value-Neigung gering. Ist die Prämie jedoch hoch, fällt unsere Value-Übergewichtung stärker aus. Über die letzte Dekade hat Value in den USA die Wachstumstitel um jeweils zwei Prozentpunkte pro Jahr unterperformt, während fundamentale Indizes den Markt um fast einen Prozentpunkt übertroffen haben. Meine Gegenfrage an die Kritiker lautet deshalb: Wenn der Erfolg nur am Value Bias und am höheren Risiko liegt, wie kommt es dann trotz Gegenwind zu einer Überperformance? Ich habe das Ganze mehrmals mit Burt durchgekaut – und er beharrt nun einmal darauf, die Sache anders zu sehen. (lacht)

Befürchten Sie nicht, dass angesichts der fortgesetzten monetären Lockerung das herrschende Gefüge bestehen bleibt und teure Wachstumstitel vom Markt weiterhin bevorzugt werden?
Das Marktgefüge hält schon jetzt viel länger an, als ich das erwartet habe. Es handelt sich um die zweitlängste Durststrecke für Value-Investoren der vergangenen fünfzig Jahre. Ich vergleiche die Situation gerne mit einer Sprungfeder – je fester sie gespannt wird, desto stärker wird sie später zurückspringen. In anderen Worten: Ich bin überhaupt nicht beunruhigt.

Der Anleger braucht jedoch einen langen Atem, um solche Durststrecken zu überstehen. Nicht jeder ist so geduldig.
In historischen Tests – rollend über drei Jahre betrachtet – schlagen fundamentale Strategien die marktgewichteten in 75 bis 80% der Fälle. Das heisst umgekehrt, dass wir in 20 bis 25% der Zeit schlechter dastehen. Klar, das stellt die Geduld des nervösen Kurzfristanlegers auf die Probe. Doch kennen Sie eine andere Strategie, die in 80% der Fälle aufgeht?

Sie halten Aktien in Emerging Markets zurzeit für attraktiv. Welche Argumente lassen sich denn für Schwellenländer anführen?
Etwa die vorteilhaften demografischen Trends. Sie sind ein starker Faktor über einen zehn- bis fünfzehnjährigen Zeithorizont. Auf kürzere Sicht ist es vor allem die Bewertung, die für die Schwellenländer spricht: In den USA ist das zyklisch adjustierte Kurs-Gewinn-Verhältnis, die Shiller P/E, jüngst wieder über 25 gestiegen. In den Schwellenländern ist es in der letzten Korrektur auf 10,2 gefallen. Ein Portfolio auf Basis der fundamentalen RAE-Strategie von Research Affiliates und Pimco weist sogar eine Shiller P/E von nur 7,3 auf. Es passiert viel Schlechtes in den Emerging Markets, deshalb sind sie günstig. Aber bei solchen Bewertungen eröffnet das einem geduldigen Investor grossartige Chancen.

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