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09:57 Uhr - 25.04.2016

Flughafen-CEO: «Büromarkt denkt immer kurzfristiger»

Stephan Widrig, CEO Flughafen Zürich, setzt auf Immobilien- und Kommerzgeschäft. Im Flugbetrieb stösst der Flughafen zu Spitzenzeiten an Kapazitätsgrenzen, erklärt er im Interview mit FuW.

Der Flughafen hat diverse Baustellen. Die grösste im eigentlichen Sinn liegt zwischen den Terminals und dem Hügel Butzenbüel. Dort entsteht The Circle. Das Immobilienprojekt soll dem Flughafen Zürich (FHZN 878.5 0.57%) helfen, die Abhängigkeit vom Fluggeschäft zu reduzieren. Andere Baustellen sind regulatorischer Natur. CEO Stephan Widrig braucht darum in vielen Belangen ein gutes Gespür für politische Anliegen. Die Aktionäre hat er dabei nicht vergessen. Das zeigt die Ankündigung einer Sonderdividende von 16 Fr. je Aktie für das laufende Jahr. Die komfortable Finanzsituation bietet Spielraum für weitere Sonderausschüttungen.

Herr Widrig, es ist schon ein paar Monate her, seit Sie neue Vermieter präsentiert haben. Gibt es Neuigkeiten vom Circle?
Der Vermietungsstand ist weiterhin bei rund 50%. Der Markt denkt immer kurzfristiger. Damit müssen wir umgehen.

Spüren Sie das Überangebot im Büromarkt?
Zur PersonDer 43-jährige Stephan Widrig ist seit 2015 CEO des Flughafens Zürich. Zuvor war er für das Kommerzgeschäft sowie das Immobilienportfolio verantwortlich und seit 2008 Mitglied der Geschäftsleitung. In den Vorjahren arbeitete er als Kommerz- sowie Finanzchef am Flughafen Bangalore in Indien, der vom Flughafen Zürich betrieben wurde. Er begann seine Karriere 1999, noch vor der Privatisierung beim Flughafen. Davor arbeitete er für zwei Jahre in der Beratung bei Arthur Anderson. An der Universität St. Gallen studierte er Staats- und Wirtschaftswissenschaften. Stephan Widrig ist verheiratet und hat drei Kinder. n einem anderen Zyklus wäre die Vermietung der Büroflächen sicher einfacher gewesen. Sind Büroflächen knapp, wollen Akteure bereits drei bis vier Jahre vor Mietbeginn Flächen für den neuen Standort sichern. Sind zu viele Flächen auf dem Markt, können sie auch ein bis zwei Jahre vorher entscheiden. Je nach Zyklus entscheiden Akteure kurz- oder langfristig.

Stehen abgesehen vom Circle weitere Projekte im Kommerzbereich an?
Auf der Landseite und der Luftseite haben wir zwei Einkaufszentren in Betrieb, die sehr gut laufen. Hier stehen graduelle Weiterentwicklungen an. Mit Konzepterneuerungen wollen wir sicherstellen, dass diese Zentren auch in Zukunft funktionieren. Auf der Landseite wachsen wir wegen der steigenden Bedeutung als Pendlerdrehscheibe im Norden Zürichs überproportional. Hier werden wir sicher die Fläche erweitern. Diese Projekte sind aber noch nicht entscheidungsreif. Zunächst realisieren wir The Circle.

Doris Leuthard will mehr Einfluss auf den Flughafen nehmen. Stört Sie das?
Die Luftfahrt wird gesetzlich auf Bundesebene geregelt. Als einziger interkontinental breit angebundener Flughafen der Schweiz ist Zürich für die internationale Anbindung unseres Landes entscheidend. Darum finden wir es sehr gut, dass der Bund eine aktive Rolle spielt.

Wie interpretieren Sie die angekündigte Kompetenzverschiebung vom Kanton Zürich zum Bund?
Es ist keine Kompetenzverschiebung. Es geht um die Rahmenbedingungen, damit der Flughafen auch in zehn, fünfzehn Jahren in der heutigen Qualität entlang der volkswirtschaftlichen Nachfrage funktionieren kann. Diese Rahmenbedingungen müssen auf Bundes- wie auf Kantonsebene geschaffen werden. Dass der Bund eine aktivere Rolle sucht, hat mehr mit den anstehenden Herausforderungen zu tun als mit einer Kompetenzverschiebung.

Im diesem Jahr geht vom Bund ein neuer Sachplan Infrastruktur Luftfahrt in die Vernehmlassung.
Dieser gibt die Eckwerte vor, entlang derer sich der Flughafen weiterentwickeln kann. Ich erwarte keine radikalen Veränderungen, sondern kleine, moderate Schritte, damit wir das antizipierte Passagierwachstum von jährlich 2% abwickeln können. Wegen der langen Verfahren und der Planungssicherheit braucht es eine langfristige Sicht.

Ein ewiges Thema sind Lärmentschädigungen. Das Bundesgericht hat dazu jüngst entschieden. Müssen Sie die Rückstellungen anpassen?
Das Bundesgericht hat in sechs Pilotfällen letztinstanzlich wichtige Grundsatzfragen geklärt, was in Bezug auf Lärmentschädigung gilt. Dabei wurden im Grundsatz alle unsere Annahmen bestätigt. Ich erwarte deshalb keine wesentlichen Anpassungen bei unseren Rückstellungen.

Wie viel Zeit des Tages wenden Sie für die politischen Dossiers auf?
Vielleicht ein Drittel meiner Zeit befasse ich mich mit politischen Fragen, zwei Drittel mit den betriebswirtschaftlichen Herausforderungen. Also (ALSN 66.6 -1.33%) im gleichen Verhältnis wie unsere Eigentumsverteilung im Aktionariat, in welchem der Kanton mit einem Drittel vertreten ist und der Rest am Markt breit gestreut ist.

Eine betriebswirtschaftliche Überlegung war der Verkauf der Beteiligung am Flughafen Bangalore. Warum haben Sie verkauft?
Hauptziel unseres internationalen Geschäfts ist die Wertsteigerung der Investitionen durch den Einsatz unseres Know-how, besonders über Managementverträge. Wir sind nur dort investiert, wo wir auch eine aktive Rolle wahrnehmen können. Das war in Bangalore nach Ablauf des Managementvertrags nicht mehr der Fall. Zudem ist es sinnvoll, einen Teil der im Ausland generierten Wertsteigerung zu realisieren. Indien ist ein gutes Beispiel dieser Strategie. In Bangalore haben wir zu einem frühen Zeitpunkt die Konzession  mit einem Konsortium übernommen, waren immer in der Managementrolle und können jetzt zu einem Vielfachen des Einstiegspreises verkaufen.

Mit einer Finanzbeteiligung hätten Sie noch länger profitieren können.
Wir profitieren jetzt, indem wir zu einem sehr attraktiven Preis verkaufen.

Abgesehen von Verkaufserlösen ist der jährlich wiederkehrende Gewinnbeitrag des gesamten internationalen Geschäfts für das Unternehmen relativ klein.
Wichtiger als der Gewinnbeitrag ist die Rentabilität. Darum gehören wir nicht zu den Meistbietenden und gehen nur dann Beteiligungen ein, wenn die Konditionen auch vernünftig sind. Wir sind nicht unter Druck, möglichst schnell international zu wachsen. Wir halten aber an dieser Strategie fest, weil das Wachstum in Zürich begrenzt ist. Zudem ist der Gewinnbeitrag besonders von Indien über die Jahre betrachtet nicht unerheblich gewesen.

Bremst der Kanton als Hauptaktionär die internationale Expansion?
Nein. Es ist weniger der Kanton, der uns diszipliniert, sondern der Anspruch, nur dann zu investieren, wenn Wertschöpfung für alle Aktionäre sichergestellt ist. Wir spüren keinen Zeitdruck. Es ist darum besser, langsam, dafür stetig zu wachsen, als auf Teufel komm raus zu grosse Risiken einzugehen.

Welche Projekte schauen Sie sich an?
Momentan stehen Brasilien und Nizza im Vordergrund.

Verzögert sich die Privatisierung in Brasilien aufgrund der politischen Situation?
Trotz politischer Turbulenzen gehen wir davon aus, dass im laufenden Jahr die dritte Privatisierungsrunde stattfinden wird. Für vier wichtige Flughäfen werden 30-Jahres-Konzessionen vergeben. Unter anderem für die Flughäfen Porto Alegre und Salvador. Derzeit sind wir daran, Konsortien zu bilden, um bereit zu sein, falls es losgeht.

Offen ist die Entschädigung aus Venezuela. Noch ist eine letzte Einsprache vor dem Internationalen Strafgericht hängig. Wann rechnen Sie mit dem definitiven Urteil?
Wir gehen davon aus, dass das Urteil 2017 vorliegen wird. Unsere Entschädigung wird aber mit rund 5% gut verzinst.

Swiss-CEO Thomas Klühr hat den Flughafen betreffend Pünktlichkeit kritisiert.
Hauptproblem ist die Spitzenkapazität. Für eine interkontinentale Drehscheibe mit Wellensystem ist sie entscheidend. Wir versuchen zusammen mit der Skyguide, den Bodenabfertigungsunternehmen und der Swiss, laufend die Prozesse zu optimieren, um die letzten Reserven, die es noch gibt, herauszuholen. Parallel arbeitet Skyguide an technischen Verbesserungen, die es erlauben, die Stundenkapazität jederzeit hochzuhalten und die Sicherheit nicht zu beeinträchtigen. Drittens braucht es mittel- bis langfristig politische Rahmenbedingungen, die eine Weiterentwicklung entlang der wirtschaftlichen Nachfrage zulassen, damit die Engpässe nicht weiter zunehmen.

Ist die Spitzenbelastung zu hoch?
Es hat immer weniger Spielraum, um mit unvorhergesehenen Änderungen umzugehen. Je weniger Spielraum, desto mehr entstehen Verspätungen, beispielsweise bei bestimmten Windlagen, Verspätungen im übergeordneten Luftfahrtsystem oder technischen Vorfällen.

Was braucht es?
zoomEs braucht viele kleine Massnahmen, die den Betrieb stabilisieren und sicherstellen, damit wir wieder an Redundanz zurückgewinnen. Da ist die Entflechtung von An- und Abflugrouten ein gutes Beispiel für eine solche Massnahme. Andere Massnahmen sind Schnellabrollwege, die uns vom Bundesamt für Zivilluftfahrt vor kurzem genehmigt wurden. Diese erlauben uns beispielsweise eine bis zwei Bewegungen mehr pro Stunde zusätzlich in der Spitzenzeit.

Der Flughafen Zürich ist immer weniger FlughafenIn den siebzehn Jahren, in denen Stephan Widrig beim Flughafen Zürich ist, wurde das Unternehmen privatisiert, überlebte das Grounding der Swissair und steht nun mit dem Bau von The Circle vor dem grössten Wandel. Zürich ist zwar weiterhin der wichtigste Flughafen der Schweiz, der Ausbau des kommerziellen Angebots und internationale Beteiligungen haben das Betätigungsfeld aber vergrössert.

Mit Widrig steht seit 2015 ein Mann an der Spitze, der im internationalen und im kommerziellen Bereich erfolgreich mitgewirkt hat. Er war in Bangalore für die finanziellen und kommerziellen Belange verantwortlich und leitete ab 2010 in Zürich das Geschäft ausserhalb des Flugbereichs.

Zwei von drei Franken nimmt der Flughafen im klassischen Fluggeschäft ein. Dazu gehören unter anderem Gebühren für Passagiere und Flugbewegungen. Doch der Flughafen stösst an Grenzen. Zu Spitzenzeiten ist das Gedränge auf den Pisten gross. Verspätungen sind die Folge. Nur dank grösseren Maschinen und einer besseren Auslastung konnte die steigende Nachfrage bewältigt werden (vgl. Grafik oben). Im Sommer beginnt die Swiss, die jeden zweiten Passagier von und nach Zürich fliegt, mit der Flottenerneuerung. Dank grösseren Flugzeugen werden trotz gleicher Anzahl Bewegungen mehr Passagiere befördert.

Mit der Einigung im Gebührenstreit konnte zwischen dem Betreiber und den Fluglinien ein grosses Hindernis aus dem Weg geräumt werden. «Wir erwarten die Verfügung vom Bundesamt für Zivilluftfahrt demnächst», sagt Widrig. Voraussichtlich werden die neuen Gebühren laut dem CEO im dritten Quartal in Kraft treten. Im Streit mit Deutschland über die Anflugregimes zeichnet sich noch keine Lösung ab. Politische Probleme belasten das Geschäft neben dem Flugbetrieb nicht. In der Vermietung von Büroflächen oder der Vergabe von Detailhandelskonzessionen entscheidet der Markt. In diesem Bereich erzielt der Flughafen fast zwei Drittel des Betriebsgewinns. In Zukunft dürfte dieser Anteil weiter steigen. Für 2019 ist die Eröffnung von The Circle geplant. Der zweite Wachstumstreiber ist das internationale Geschäft. Mit dem Verkauf der letzten Beteiligung von 5% an Bangalore für 48,9 Mio. $ wird der Flughafen ein erfolgreiches Kapitel abschliessen.

Die Aktien sind mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 23 für 2016 fair bewertet. Verlockend ist die attraktive Dividendenrendite von 3,5% – dank einer Sonderdividende von 16 Fr. je Aktie. Von den 510 Mio. Fr. Kapitaleinlagereserven bleiben nach der geplanten Ausschüttung in diesem Jahr von 100 Mio. Fr. genügend Mittel für weitere Sonderausschüttungen. Laut Widrig dürfen die Aktionäre «grundsätzlich» mit weiteren Sonderdividenden rechnen. Die Lage werde aber jedes Jahr neu beurteilt. «Den Rahmen bildet die Nettoverschuldung, die im langfristigen Mittel dreimal Ebitda nicht überschreiten darf», sagt der CEO. Ende Jahr betrug der Wert 1,1. Widrig geht darum davon aus, dass sie die Sonderausschüttungen auch in den nächsten Jahren so handhaben werden.

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