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17:40 Uhr - 29.06.2015

«Ohne EZB-Hilfe kein Euro mehr in Athen»

Charles Wyplosz, Professor für International Economics in Genf, sieht keine Alternative zu einem Grexit, falls die Griechen am Sonntag die Bedingungen der Gläubiger ablehnen und die EZB ihre Nothilfe beendet.

Charles Wyplosz, Professor für International Economics in Genf, wirft den Verhandlungspartnern vor, so lange politisiert zu haben, bis ökonomische Gründe in den Hintergrund traten und die Schmerzgrenzen überschritten wurden. Sollten die Griechen am Sonntag die Bedingungen der Geldgeber im Referendum ablehnen, sei ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone unvermeidbar, weil die Europäische Zentralbank (EZB) die Banken des Landes nicht mehr stützen könnte. Sie müsse dann die Notliquiditätsmassnahmen ELA (Emergency Liquidity Access) stoppen. Morgen müsste Griechenland dem Internationalen Währungsfonds (IWF) 1,6 Mrd. € überweisen, gleichzeitig wird das zweite Rettungsprogramm auslaufen, um das sich die Verhandlungen drehten. Athen wird die restlichen Gelder daraus nicht mehr erhalten.

Zur PersonCharles Wyplosz ist Professor für International Economics am Graduate Institute an der Universität Genf und dort auch Direktor des International Center of Monetary and Banking Studies. Zuvor forschte er am Insead und an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales in Paris, zudem war er Direktor für Makroökonomie des europäischen Ökonomennetzwerks CEPR. Wyplosz ist Berater der Europäischen Kommission, des IWF, der Weltbank, der Vereinten Nationen sowie der Asiatischen und der Interamerikanischen Entwicklungsbank. Er studierte in Paris Ingenieurwesen und Statistik und doktorierte in Volkswirtschaft in Harvard. Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die Transparenz in der Geldpolitik, Finanzkrisen, die europäische Währungsintegration sowie Finanzpolitik. Herr Wyplosz, wie stehen die Chancen, dass Griechenland mit seinen Schuldnern doch noch eine Einigung erzielen kann? Wird das Referendum am 5. Juli eine Einigung ausschliessen, bevor nicht klar ist, wie das Abstimmungsresultat aussieht?
Neuverhandlungen vor dem Referendum sind schwer vorstellbar. Dies bedeutet, dass Griechenland seine Schulden gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) morgen Dienstag nicht begleichen wird. Fällt das Referendum zu den von den Gläubigern geforderten Bedingungen negativ aus und weigert sich die Europäische Zentralbank (EZB) weiterhin, den griechischen Banken Notfallliquidität bereitzustellen, dann gibt es keine Alternative zum Grexit.

Was ist Ihr Rat, um aus diesem Schlamassel herauszukommen?
Es war immer einfach, Spielraum zu finden für eine Einigung zwischen Griechenland und seinen europäischen Gläubigern. Beide Seiten haben die Verhandlungen jedoch dermassen verpolitisiert, dass ökonomische Überlegungen in den Hintergrund getreten sind. Die Europäer hätten einen ausgeglichenen Haushalt anstatt eines Primärüberschusses fordern sollen. Sie hätten Reformen bei den weitgehend verkrusteten Produktemärkten, inklusive eines Abbaus der Bürokratie und eine weitere Verbesserung in der Steuereintreibung verlangen sollen. Stattdessen entschieden sie sich, die Schmerzgrenze der griechischen Regierung bei den Renten und der Mehrwertsteuer zu überschreiten. Die griechische Regierung hätte diese Vorschläge selber ausarbeiten können, hat es aber nicht getan.

Die Gläubiger deuteten an, es bestehe die Möglichkeit eines Schuldenschnitts, sobald Griechenland die Reformforderungen und Sparmassnahmen akzeptiere.
Eine Abschreibung eines Teils der Schulden ist unvermeidlich. Es hat wenig Sinn, diesbezügliche Verhandlungen aufzuschieben. Dies sollte der Ausgangspunkt der Diskussionen sein und nicht ein vages Versprechen.

Wie effektiv werden Kapitalkontrollen sein?
Die wichtigste Massnahme sind nicht die Kapitalverkehrskontrollen, sondern die Limiten auf den Bezügen von Bankeinlagen. Richtig umgesetzt, können sie den Abfluss von Bankeinlagen stoppen und dadurch den Bedarf nach EZB-Liquidität reduzieren. Bestenfalls jedoch wird damit Zeit gewonnen bis die EZB ihre Liquiditätszufuhr wieder aufnimmt oder der Grexit droht.

Wie geschieht, wenn Griechenland am Monatsende die IWF-Tranche nicht begleicht?
Nicht viel. Der IWF wird einige Zeit benötigen, um Griechenland formell als im Zahlungsrückstand zu erklären und deshalb die IWF-Mitgliedschaft aussetzen.

Die Eurogruppe scheint perplex angesichts der Handlungen des griechischen Premierministers Tsipras, die Verhandlungen abzubrechen und ein Referendum abzuhalten. Haben sie das Risiko unterschätzt, dass Griechenland so weit gehen würde?
Ja, sie haben die griechische Demokratie immer unterschätzt. Tsipras wurde mit einem Mandat gewählt, das ihnen missfiel, aber das ist der Wille des Volkes. Diesen Willen und das Bekenntnis der griechischen Regierung haben sie nicht respektiert. Niemand ist perplex, es gab lange Diskussionen über ein mögliches Referendum.

Die Eurogruppe konnte sich nicht auf einen Schuldenschnitt einigen. Wird es nun trotzdem dazu kommen oder werden die Euroländer einfach abwarten, um zu sehen, wie viel Griechenland zurückzahlen wird?
Sobald Griechenland beginnt, fällige Schulden nicht zu begleichen, kommt das einem Schuldenschnitt gleich. Und auch wenn Griechenland seine Schulden jetzt nicht begleicht, kann es das immer noch zu einem späteren Zeitpunkt tun. Das haben wir schon mehrmals gesehen, zum Beispiel in Argentinien. Letzten Endes wird Griechenland seine Schulden gegenüber dem IWF und seinen privaten Gläubigern tilgen. Wie gross der Anteil der Schulden ist, der den europäischen Institutionen wie EZB, den einzelnen Regierungen und dem EFSF zurückbezahlt wird, wird durch Verhandlungen ermittelt. Ich vermute, die Abschreibungen werden beträchtlich ausfallen.

Wie schätzen Sie die Entscheidung der EZB ein, die bisherigen Notfallliquiditäts-Zahlungen (ELA) aufrecht zu erhalten, aber nicht auszuweiten? Sollte die EZB nicht vielmehr entscheiden, ob das griechische Bankensystem immer noch solvent ist und falls nein, die Zahlungen ganz einstellen? Lautet die Antwort «ja», müsste sie jedoch alle notwendige Liquidität bereitstellen.
Die EZB hat praktisch aufgehört, zusätzliche Liquidität bereitzustellen, da das Kreditvolumen bereits ausgeschöpft ist. Angesichts des Banken-Runs, der vor Monaten schleichend begann und mittlerweile an Fahrt gewonnen hat, dürften die griechischen Banken mittlerweile insolvent sein. Das Hauptproblem ist nun die Rekapitalisierung der griechischen Banken, wofür EZB-Kapital dringend notwendig ist.

Was sind die nächsten Schritte? Wie gross ist das Risiko eines Grexit?
Wenn die EZB ihre Liquiditätszufuhr nicht wieder aufnimmt, ist ein Grexit unvermeidbar. Kein Land kann ohne Bankensystem funktionieren und kein Bankensystem kann ohne «Lender of last Resort» funktionieren.

Die SNB scheint heute am Markt interveniert zu haben. Welche Folgen sehen Sie für die SNB in den kommenden Wochen?
Es ist unklar, ob ein Grexit den Euro stärken oder schwächen wird. Der Euro könnte sich in einem ersten Schritt abschwächen, was schlecht für die SNB (SNBN 1240 2.06%) in ihrem Kampf gegen den starken Franken wäre. In einem zweiten Schritt könnte der Euro zulegen, da der Markt zur Erkenntnis gelangt, es sei ein Stachel entfernt worden. Dies wäre auf mittlere bis lange Frist positiv für die SNB.

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