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14:42 Uhr - 28.07.2015

«Investoren mögen Schweizer Unternehmen»

Michael Clements, Leiter europäische Aktien der Bank Syz, ortet in Frankreich, im Bausektor und im Gesundheitsbereich Chancen für Anleger, wie im Interview mit der FuW erläutert.

Herr Clements, wie beurteilen Sie das derzeitige ökonomische Umfeld für europäische Aktien?
Die makroökonomische Situation ist hervorragend. Es gibt drei Faktoren, die die Wirtschaft antreiben. Das sind der starke Dollar –  europäische Unternehmen sind bedeutende Exporteure –, der schwache Ölpreis, der immer noch 40 bis 50% niedriger notiert als vor einem Jahr, und das monetäre Lockerungsprogramm der Europäischen Zentralbank. Zwar fällt aus Sicht eines europäischen Unternehmens Letzteres nicht so stark ins Gewicht. Für eine qualitativ hochstehende Gesellschaft wie Nestlé macht die Tatsache, dass sie sich dank niedrigerer Zinsen günstiger refinanzieren kann, keinen grossen Unterschied. Aber alle drei Triebkräfte werden in den kommenden achtzehn Monaten wirksam bleiben.

Wie nutzen Sie dieses zuträgliche Umfeld: Welche Regionen, Sektoren profitieren?
Sektoren oder spezifische Märkte spielen für uns keine besondere Rolle. Wir sehen uns nach Aktien qualitativ hochstehender Unternehmen um und kaufen sie, wenn sie günstig sind. Wir leiten keine Investmentideen von makroökonomischen Daten ab. Wir sind zu langsam, um dies zu tun. Was ist besonders unpopulär? Das ist unsere Leitfrage – und der Ort, wo noch vernünftige Bewertungen zu finden sind. Derzeit schauen wir uns den Energiesektor genauer an, spezifisch Minenaktien. Es ist ein Bereich, der die vergangenen  zwei, drei Jahre schwach war. Wir schauen uns auch russische Unternehmen an.

zoomIn Europa bekundet auch Frankreich Mühe.
Das ist so. Deshalb besteht unser Portfolio auch zu 22% aus französischen Aktien. Es ist kein populärer Markt, es gibt viele Bedenken über die wirtschaftlichen Aussichten. Aber französische Aktien sind noch relativ günstig. Nehmen wir ein Unternehmen wie Legrand, ein führender Anbieter elektrischer Infrastrukturausrüstung, der hauptsächlich in zwei schwachen Immobilienmärkten tätig ist, Frankreich und Italien. Die Aktien will niemand haben. Deshalb konnten wir Legrand-Anteile zu attraktiven Bewertungen kaufen.

Wie beurteilen Sie die Bewertung der europäischen Aktienmärkte allgemein?
Die Bewertungen sind klar höher als vor drei Jahren. Aber mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen um 16 bis 17 sind sie noch nicht hanebüchen. Im globalen Kontext haben die europäischen Märkte noch immer ein verhältnismässig gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Und verglichen mit dem Bond-Markt sind die Bewertungen überzeugend. Natürlich gibt es teure Teilmärkte, etwa Verbrauchsgüter, also die Nestlés und die L’Oréals. Investoren sind auf der Suche nach Obligationenersatz, deshalb sind diese Aktien so hoch bewertet.

Wie beurteilen Sie die Bewertung des Schweizer Aktienmarktes?
Der Schweizer Markt ist zweifelsohne teuer. Investoren mögen Schweizer Unternehmen. Sie sind gut geführt, oft Marktführer, aber für uns zum aktuellen Zeitpunkt nicht interessant. Ein qualitativ hochwertiges Geschäft ist nicht genug, es muss auch günstig sein. Wenn man heute Nestlé kauft, kann man von einer jährlichen Nettorendite von 2 bis 3% ausgehen. Das ist nicht gut genug für unser Portfolio. Die einzige Möglichkeit, günstig einzusteigen, ist, wenn etwas Schlechtes passiert. Mit unserem Zeithorizont von fünf Jahren können wir Aktien kaufen, vor denen andere wegen der kurzfristigen Volatilitäten zurückschrecken.

Als die Schweizerische Nationalbank Mitte Januar entschieden hatte, den Euromindestkurs aufzugeben, war das für die Börse etwas «Schlechtes» – genug schlecht für Sie, um zuzugreifen?
Ja, das war es. Und wir hatten auf eine solche Gelegenheit gewartet. Der letzte grössere Zukauf, den wir gemacht haben, war Swatch Group, in der letzten Januarwoche. Swatch ist eine so überzeugende Investmentgeschichte: grossartiges Markenportfolio, eine sehr starke Bilanz, grosses Exposure in den aufstrebenden Märkten, besonders in China. Und das Wichtigste: Swatch ist derzeit nicht in der Gunst der Investoren. Der chinesische Markt stagniert, die Lancierung der Apple Watch macht alle in der Branche nervös, und hinzu kommt noch der starke Franken. Swatch hat eine Kostenbasis von 60% in der Schweiz.

Sehen Sie in anderen Sektoren günstige Gelegenheiten?
Im Gesundheitsbereich sehe ich zwei günstige Aktien: Sanofi und Novartis. Novartis hat eine der stärksten Pipelines im Sektor, mit Cosentyx und LCZ696, die vor der Lancierung stehen. Typischerweise berücksichtigt die Bewertung die sehr gut gefüllte Pipeline zu wenig. Bei Biotech-Aktien verhält es sich genau entgegengesetzt. Sie sind eine reine Wette auf die Pipeline. Für den Anleger ist es extrem schwierig, das wirkliche Potenzial eines Medikaments abzuschätzen. In Biotech zu investieren, bedeutet, auf die Marktaussichten eines einzigen Medikaments zu setzen. Mit Glück ist der Gewinn gross, im andern Fall steht man mit leeren Händen da. Das ist keine gute Wette.

Gibt es andere Schweizer Aktien, in die Sie zu investieren beabsichtigen?
Ja, in die Valoren des Duty-free-Unternehmens Dufry beispielsweise. Die langfristigen Wachstumsperspektiven sind vielversprechend, besonders nach der Akquisition von Nuance und World Duty Free. Dufry ist eine Wette auf die globalen Luftverkehrsvolumen, die kurzfristig zunehmen. Wir sind derzeit daran, die zyklischen Risiken und die Bewertung zu prüfen, um festzustellen, was ein guter Kaufpreis ist.

Wo sehen Sie in Europa Gelegenheiten, in welchen Sektoren?
Der erste reizvolle Sektor ist der Bau. Besonders, weil er unbeliebt ist. Wir bevorzugen die Titel der französischen Industriegruppen Legrand und Schneider, der österreichischen Beleuchtungsfirma Zumtobel, aber auch den britischen Hausmarkt. Um darin zu investieren, halten wir Aktien der Baumarktkette Kingfisher, des Immobilienmaklers Countrywide und von Persimmon, dem grössten britischen Baugeschäft. Bauaktien machen bis zu 25% unseres Portfolios aus.

Schwellenmärkte und Energieaktien sind ebenfalls nicht in der Gunst der Investoren.
In der Tat, und sie sind auch relativ günstig. Deshalb sind die Papiere des auf aufstrebende Märkte fokussierten Vermögensverwalters Aberdeen eine unserer  grössten Positionen. Investoren wollen sich derzeit nicht in den aufstrebenden Märkten exponieren. Deshalb sind Aberdeen günstig. In drei Jahren, wenn die Emerging Markets wieder populär sein werden, wird jeder den Titel besitzen wollen. Energie ist der dritte Bereich, der Chancen bietet. Ich warte darauf, dass Investoren ihre Hoffnung in den Energiesektor ganz aufgeben. Zu diesem Zeitpunkt werden wir zugreifen und Aktien der qualitativ hochwertigen Energieunternehmen kaufen. Wir machen jetzt die Zahlenarbeit, um bereit zu sein, wenn es so weit ist.

Gibt es Marktsegmente, in die Sie sich nicht trauen?
Banken sind eine Investition, mit der wir Mühe haben. Ich verstehe Banken nicht. Gibt es Aussenstehende, die das tun, die die wahren Risiken einer Bank abschätzen können? Andere Geschäftsmodelle sind viel einfacher zu verstehen, zu gleichen Bewertungen. Einige Banken sind vermutlich gut, andere schlecht. Als Stock Pickers wissen wir einfach nicht, wie zwischen ihnen auswählen. Deshalb haben wir Banken in den Fonds klar untergewichtet. Das Gleiche gilt für Versicherungen. Wir verstehen die Risiken am langen Ende der Zeitskala  nicht, und auch nicht, wie man diese Risiken bewerten soll.

Wie wichtig sind Höhe und Auszahlung der Dividende als Investitionsargument?
Die Dividende ist aus unserer Sicht nicht von primärer Wichtigkeit. Eine hohe Dividende ist kein ausreichendes Argument, um eine Aktie zu kaufen. Die Fähigkeit, dass ein Unternehmen hohe freie Cashflows generiert, ist viel relevanter. Was mit überschüssigem Cash zu tun ist, muss das Management entscheiden. Es macht für ein Unternehmen wenig Sinn, eine hohe Dividende auszuzahlen, wenn es eine Eigenkapitalrendite von 25% erreichen kann. Umgekehrt sind hohe Auszahlungen in reifen Sektoren, wo die Gewinne tiefer sind, zum Beispiel in der Tabakindustrie, viel sinnvoller.

Sind unbeliebte oder tiefer bewertete Aktien nicht Gegenstand höherer Volatilität?
Aus Sicht des Stock Picking ist Volatilität eine gute Sache. Kursausschläge sind nichts, wovor man sich fürchten muss, wenn ein Anleger einen langen Zeithorizont hat. Auch verhält es sich so, dass Unternehmen von hoher Qualität einen Wettbewerbsvorteil aufweisen und eine starke Bilanz haben. Damit ist die Volatilität dieser Aktien geringer als beim Vergleichsindex.

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