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18:09 Uhr - 25.11.2016

«Fachkompetenz wird immer wichtiger»

Urs Dreier, Leiter Weiterbildung Banking, Finance and Risk Management, Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW): Fachwissen ist auch für Führungskräfte zentral.

Der strukturelle Wandel in der Finanzwirtschaft dauert an. Das wirft nicht zuletzt Fragen unter den Mitarbeitenden auf, Fragen, die auch die Aus- und Weiterbildung betreffen. Urs Dreier, Praktiker im Finanzgeschäft und verantwortlich für die Weiterbildung im Finanzsektor an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), gibt Tipps, worauf es bei der weiterführenden Berufsausbildung ankommt.

Zur PersonZu den Spezialgebieten von Urs Dreier zählen die Bewertung von Finanzinstrumenten sowie Portfolio und Risk Management. Er besitzt ein Masterdiplom der Universität Basel und hält die internationalen Diplome Chartered Financial Analyst (CFA) und Financial Risk Manager (FRM). Vor seinem Engagement bei der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) vor zehn Jahren hatte er in verschiedenen Finanzinstituten Führungspositionen inne, zuletzt als CIO von Julius Bär. Er ist Mitgründer von zwei Finanz-Start-ups, Mitglied im Anlageausschuss einer Lebensversicherung und einer PK und übt mehrere VR-Mandate aus. Herr Dreier, was sind die drei wichtigsten Kompetenzen, die es heute im Finanzsektor braucht?
Die Fachkompetenz gewinnt laufend an Bedeutung. Ohne Fachkompetenz ist eine Karriere schwierig. Zweitens verkürzt sich die Halbwertszeit des Wissens immer mehr, es braucht deshalb die Kompetenz, sich selbst stets auf dem neuesten Stand zu halten. Und drittens ist Sozialkompetenz notwendig. Ohne sie ist eine erfolgreiche Laufbahn, die über den reinen Fachexperten hinausgeht, nicht möglich.

Wie wichtig ist Fachkompetenz in einer Führungsfunktion?
Für eine Vorgesetztenkarriere reicht es nicht, zu wissen, wie man Leute führt. Bei allen sozialen Fähigkeiten, die dazu nötig sind, braucht es in erster Linie Fachwissen. Die Differenzierung zwischen Führungs- und Fachkompetenz ist heute aufgebrochen.

Weshalb, was hat dazu geführt?
Die Geschäftsprozesse, die Produkte, Entwicklung und Vertrieb sowie die Rahmenbedingungen, zum Beispiel die Regulierung, sind sehr komplex geworden.

Besteht so gerade im Finanzsektor nicht die Gefahr, dass bei den vielen Produkten und der wachsenden Komplexität von Finanzanlagen der Blick fürs Ganze verloren geht?
Fachkompetenz heisst nicht zwingend Spezialisierung. Das Fachwissen der Kunden hat zugenommen. Das hat mit dem Generationenwechsel zu tun, aber auch damit, dass es früher Anleger gab, die allein mit dem Schutz des Kapitals vor dem Fiskus  zufrieden waren. Heute ist professionelle und individuelle Beratung gefragt, und das nicht nur bei den ganz grossen Kunden. Ein Kundenberater muss beurteilen und erklären können, ob und wie welche Produkte ins Depot passen. Dafür ist der Blick fürs Ganze genauso wichtig wie das Detailwissen.

Wie gut sind die Leute schon geschult, wenn sie zu Ihnen kommen?
Inzwischen sind die meisten Mitarbeitenden von Banken schon intern ausgebildet und bringen ein gutes Grundwissen mit. In einigen Fällen kann diese Ausbildung auf Kenntnisse der eigenen Produkte und auf den Verkauf fokussiert sein. Wir als Schule bauen auf diesem Wissen auf, vertiefen und verbreitern es.

Was ist am Vorurteil dran, dass die Bank, der Berater zuerst an sich selbst denkt?
Eine Bank muss wie in jedem anderen Geschäft ihre Produkte und Dienstleistungen verkaufen, das ist absolut legitim. Ein rundum zufriedener Kunde, aber das Institut macht Verlust, das nützt niemandem etwas. Interessenkonflikte sind in dieser Konstellation potenziell immer vorhanden. Es geht darum, sie bewusst und transparent zu machen. Das sind geschäftspolitische Entscheide.

Was gibt einem das Signal, dass eine Aus- oder Weiterbildung angeraten ist?
Es gibt den mechanistischen Weg: Wie lange ist meine letzte Ausbildung her? Sind es mehr als fünf oder sechs Jahre, ob nach einem Grundstudium oder einer Weiterbildung, drängt sich ein nächster Schritt auf. Dann gibt es den planerischen Weg: Welche nächste Ausbildung fördert meine Karriere? In einigen Fällen ist es auch der Arbeitgeber, der zur Weiterbildung anhält.

Kann man sich auch «on the job», ohne formale Aus- oder Weiterbildung, weiterentwickeln und lernen?
Gegen das selbständige Lernen «on the job», parallel zur täglichen Arbeit, spricht überhaupt nichts. Aber häufig ist es etwas zufällig, in welchen Themen man sein Wissen vertieft, und es braucht unwahrscheinlich viel Disziplin. Wer den formalisierten Weg wählt, hat es einfacher. Es liegt quasi ein fertiges, zielgerichtetes Menü vor, mit der Möglichkeit, später das eine oder andere individuell noch zu vertiefen.    Formelle Weiterbildungen haben zudem den Vorteil, dass Lernerfolge auch tatsächlich nachgewiesen werden können.

Der Bildungsmarkt wird immer grösser und unübersichtlicher. Wie findet man sich in der Fülle des Angebots zurecht und trifft die richtige Wahl?
Ich würde im Internet das Angebot durchforsten, prüfen und vergleichen. Verschiedene Plattformen helfen dabei. Informationen gibt es auch auf dem klassischen Weg in den Medien. Immer häufiger lassen sich Interessenten bei uns in einem persönlichen Gespräch beraten. Wir offerieren Referenzen von Absolventen und bieten bei Bedarf die Möglichkeit, sich in Probelektionen bei laufenden Kursen ein Bild zu machen.

Was hilft gegen Etikettenschwindel und Abzockerei?
Es gibt in der Tat immer wieder zweifelhafte Angebote, die sich in keinem Fall lohnen. Ich empfehle – nicht weil ich Fachhochschuldozent bin, sondern aus Überzeugung – die Wahl einer öffentlich-rechtlichen oder einer privaten Hochschule, die sich an öffentlich-rechtliche anlehnt. Dahinter stehen standardisierte, qualitätsgeprüfte Prozesse und Produkte.  Zentral ist auch die Frage: Wie lange existiert das Angebot bereits? Das lässt auf die Nachhaltigkeit  schliessen. Der Markt ist kompetitiv, ungeeignete Angebote können sich nicht durchsetzen.

Wie wichtig ist der Standort?
Sehr wichtig, teils sogar wichtiger als der detaillierte Studieninhalt. Deshalb sind wir in Banking und Finance mit allen relevanten Produkten seit Jahren auch in Zürich vertreten. Das zweite Kriterium sind die Unterrichtszeiten, in unseren Weiterbildungslehrgängen sind das Freitagnachmittag und jeder zweite Samstag. Das kommt den Studierenden entgegen, weil sie jedes zweite Wochenende frei haben und keine längeren Absenzen bei der Arbeit entstehen. Das Konzept wurde inzwischen auch von anderen Schulen übernommen.

Nach welchen Fachgebieten und aus welchen Berufsgruppen ist die Nachfrage zurzeit am grössten?
Grundsätzlich besteht Interesse aus der gesamten Finanzbranche: Kundenberatung, Asset Management, Back Office, Fondsbereich, Investment Controlling, Product Management. Besonders gefragt sind in meinem Gebiet, in der Weiterbildung, die Themen Bewertung und Selektion von Finanzinstrumenten, Portfoliooptimierung, Alternative Investments, Immobilienanlagen, Risk Management, Compliance/Regulation sowie Family Office.

Schützt Aus- und Weiterbildung vor Entlassung?
Nicht unbedingt. Ein Personalabbau geht häufig quer durchs ganze Unternehmen oder betrifft ganze Einheiten, oft unabhängig von der Qualifikation des Einzelnen. Aber Aus- und Weiterbildung verbessert die Arbeitsmarktfähigkeit und erhöht klar die Chancen bei der Jobsuche.

Was ist das Wichtigste, um einen Lehrgang erfolgreich abzuschliessen?
Es braucht Interesse, Engagement und Durchhaltevermögen. Die Aufgabe ist anspruchsvoll, zumal viele Studierende bereits mit der Doppelbelastung Arbeit und Familie konfrontiert sind. Hochs und Tiefs wechseln sich während der Ausbildung zwangsläufig ab. Das geht allen so. Der Unterricht im Klassenverband kann diesbezüglich gegenüber einem Unterrichtskonzept mit mehrheitlichem Selbststudium von Vorteil sein: Man kann sich austauschen und voneinander profitieren. Trotz allen Hindernissen schaffen es die meisten, die eine Aus- oder Weiterbildung anpacken, und sie dürfen zu Recht stolz auf ihre Leistung sein.

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