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16:04 Uhr - 01.09.2017

Jordan: «Wir Zentralbanken können nicht jedes Problem lösen»

Thomas Jordan, Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank, über die Lehren aus der Finanzkrise, seine Erkenntnisse nach neun Jahren ultraexpansiver Geldpolitik, über den starken Franken und seine grössten Sorgen.

Zehn Jahre sind seit dem Ausbruch der Finanzkrise vergangen. Die Zentralbanken sprangen damals als Retter in der Not ein und verhinderten eine Kernschmelze. Doch aus der Nothilfe wurde in den Folgejahren eine permanente Stütze: Mit allerlei unkonventionellen geldpolitischen Massnahmen versuchen die Notenbanker seither, die Wirtschaft anzukurbeln. Als Folge davon haben zahlreiche Zentralbanken – auch die Schweizerische Nationalbank – ihre Bilanzgrösse massiv ausgedehnt.

Niemand weiss, was die langfristigen Folgen dieser Politik sein werden; die Notenbanken haben längst Neuland betreten. Thomas Jordan, Präsident des Direktoriums der SNB (SNBN 3031 -0.62%), spricht über seine Erfahrungen aus neun Jahren unkonventioneller Geldpolitik.

Herr Jordan, ist das globale Finanzsystem heute sicher genug, dass eine Krise wie 2008 nicht mehr passieren kann?
Das globale Finanzsystem ist eindeutig sicherer geworden im Vergleich zu 2007. Die Regulierung für die systemrelevanten Grossbanken ist deutlich strenger geworden, es gelten höhere Anforderungen an Kapitalisierung und Liquiditätshaltung. Bei der Überwachung wurden grosse Fortschritte gemacht, ebenso bei der Risikokontrolle durch die Banken selbst.

Janet Yellen, die Vorsitzende des Fed, hat kürzlich gesagt, sie hoffe und glaube, dass es zu unseren Lebzeiten keine Finanzkrise mehr gebe. Sagen Sie das auch?
Ich halte mich generell zurück mit diesbezüglichen Aussagen – weil wir es schlicht nicht wissen. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir Krisen und ihre Auswirkungen kaum prognostizieren können. Die Probleme am US-Immobilienmarkt hat vor 2007 auch fast niemand in ihrem wahren Ausmass erkannt. Aber wie gesagt: Das System ist robuster geworden.

Wurden also die richtigen Lehren gezogen?
Es wurde viel erreicht. Man kann immer im Detail über die eine oder andere Regulierung diskutieren. Aber die wesentlichen Einsichten – dass das Bankensystem genügend kapitalisiert sein muss, dass vernünftige Liquiditätsvorschriften vorhanden sind und dass eine systemrelevante Bank notfalls abgewickelt werden kann – haben die Regulierungsanstrengungen überall massgebend beeinflusst. Wichtig ist nun, dass in diesen Bereichen die Regulierung nicht zurückgefahren wird.

Ist es denn nun sicher, dass die Steuerzahler nie mehr einspringen müssen, um eine Bank zu retten?
Die Arbeiten sind auf internationaler Ebene noch nicht abgeschlossen. Es wurden viele Fortschritte gemacht, die grösste Knacknuss liegt heute noch im Nachweis der Abwicklungsfähigkeit von komplexen Banken. Zudem kann man wohl nie eine definitive Antwort geben, dass unter jedem erdenklichen Szenario nie mehr ein Problem auftauchen wird.

Gibt es Bereiche, wo punkto Regulierung zu wenig getan wurde?
Nein. Der Fokus auf die drei Elemente – genügend Kapital, ausreichend Liquidität und organisatorische Massnahmen für den Fall einer Abwicklung – ist richtig.

Die Banken beklagen sich oft, es sei überreguliert worden. Teilen Sie die Meinung?
Die drei erwähnten regulatorischen Stossrichtungen sind zentral, das wird auch von den Banken anerkannt. Aber es gibt andere Regulierungen, die die Aktivitäten der Banken relativ stark beschränken oder verteuern und nicht unbedingt zur Stabilität des Finanzsystems beitragen. Eine regelmässige Überprüfung der Wirksamkeit von Regulierungen ist daher sicher sinnvoll. Der Teufel liegt oft in der Detailumsetzung von Vorschriften. Wir haben in der Schweiz immer den Ansatz verfolgt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und den Banken möglichst nicht vorzuschreiben, wie sie ihr Geschäft ausgestalten sollen. Im Vergleich mit anderen Ländern haben wir in der Schweiz zwar strenge Kapital- und Liquiditätsanforderungen, dafür gibt es weniger andere Vorschriften. Das ist gut so.

Spezifisch auf die Schweiz bezogen: Wo sehen Sie die grössten Systemgefahren?
Wir können zunächst festhalten, dass die Too-big-to-fail-Gesetzgebung in der Schweiz eine gute Voraussetzung für ein stabiles Finanzsystem bietet. Eine zweite Feststellung ist, dass die systemrelevanten Banken grosse Fortschritte in deren Umsetzung gemacht haben. Unsere Grossbanken sind heute nicht mehr vergleichbar mit 2007. Ihre Kapital- und Liquiditätssituation hat sich markant verbessert, die organisatorische Aufstellung in Bezug auf die mögliche Abwicklung hat deutliche Fortschritte gemacht. Wir sind weit gekommen, aber es fehlen noch bestimmte Elemente, insbesondere die Notfallpläne müssen noch finalisiert werden. Wichtig ist, dass die Too-big-to-fail-Gesetzgebung wie geplant umgesetzt wird.

Aber gibt es Bereiche, in denen die Schweizer Banken, auch die inlandorientierten, zu grosse Risiken eingehen?
Die Übernahme von Risiken ist primär ein Entscheid der Banken. Sie erfüllen ihre volkswirtschaftliche Funktion nur, wenn sie bereit sind, Risiken einzugehen. Aus Sicht der Systemstabilität ist es entscheidend, dass gegenüber den eingegangenen Risiken genügend Kapital vorhanden ist. Bei den inlandorientierten Banken steht bei der Risikobeurteilung der Immobilienmarkt im Vordergrund. Aufgrund der ausserordentlichen Zinssituation stellen wir beträchtlichen Risikoappetit im Hypothekargeschäft fest. Auf der anderen Seite deuten unsere Stresstests darauf hin, dass die Kapitalisierung der inlandorientierten Banken genügend robust ist, um die Verluste in negativen Szenarien absorbieren zu können. Wir beobachten den Immobilienmarkt genau – und wir können feststellen, dass trotz Negativzinsen in den letzten zwei Jahren eine Beruhigung sowohl bei der Preisentwicklung für Wohneigentum als auch bei der Hypothekarkreditvergabe stattgefunden hat. Trotz dieser Beruhigung bleiben die Ungleichgewichte auf dem Immobilienmarkt aber bestehen. Die grössten Risiken orten wir im Moment bei Renditeobjekten, also Mehrfamilienhäusern, die für Anlagezwecke gekauft werden.

Generell auf die Geldpolitik bezogen: Seit zehn Jahren experimentieren die Zentralbanken mit diversen unorthodoxen Massnahmen. Welche dieser Instrumente haben sich bewährt, welche nicht?
Wir waren vor zehn Jahren in einer kritischen Situation; die Wahrscheinlichkeit, dass die Weltwirtschaft in eine Depression stürzt, war hoch. Die Zentralbanken haben mit ihrer Geldpolitik diese Depression verhindert. Gleichzeitig ist es ihnen gelungen, die Wirtschaft aus der Rezession herauszuführen. Es ist aber schwierig zu beurteilen, welche Massnahmen am besten gewirkt haben, weil die Zentralbanken verschiedene Instrumente – Anleihenkäufe, Negativzinsen, verbale Interventionen – oft gleichzeitig im Einsatz hatten. Dazu ein wichtiger Punkt: Oft werden unrealistische Erwartungen an die Geldpolitik gestellt. Die Geldpolitik hat eine Depression verhindert und die Rezession beendet. Aber strukturelle Probleme, die das Potenzialwachstum von Volkswirtschaften hemmen, können die Zentralbanken nicht beheben. Das können nur die Regierungen mit Reformen.

Ein Effekt dieser Geldpolitik ist, dass die Vermögensmärkte – Aktien, Immobilien – seit neun Jahren boomen. Nehmen die Notenbanken neue Blasen in Kauf?
Die Geldpolitik funktioniert immer über die Beeinflussung der relativen Preise am Finanzmarkt. Eine Zinssenkung hat sofortige Auswirkungen auf die Bewertung von Aktiven und so auf Angebot und Nachfrage nach Kredit. Das ist ein zentraler Grund, weshalb die Geldpolitik überhaupt wirkt. Aussergewöhnlich ist derzeit die sehr lange Phase mit extrem expansiver Geldpolitik, wodurch auch die Preise von Vermögenswerten unüblich lange in die gleiche Richtung beeinflusst werden. Das ist bis zu einem bestimmten Grad beabsichtigt, weil die Geldpolitik eine positive Wirkung auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erzeugen will. Aber wir wissen auch, dass die Risiken und die Verzerrungen grösser werden, je länger solche Massnahmen andauern. Aus Schweizer Perspektive ist es daher wünschenswert, dass die Geldpolitik der grossen Währungsräume in Richtung Normalisierung geht.

Wo konkret wäre das wünschenswert?
In den USA können wir eine Umkehr beobachten; das Fed hat bereits vier Schritte weg vom Zinstiefpunkt gemacht. Es gibt auch erste Diskussionen, ob die Bilanz verkürzt werden soll. Andere wichtige Regionen, wie Europa und Japan, zeigen jedoch noch kaum Signale einer Normalisierung. Dort ist die Wirtschaft noch weiter entfernt von einer vollen Auslastung, oder die Inflation ist nach wie vor sehr tief.

Das Fed geht behutsam vor, aus Angst, eine Zinsnormalisierung könnte die Märkte erschüttern. Haben sich die Zentralbanken zu Geiseln der Finanzmärkte gemacht?
Jede Zentralbank wird die Normalisierung vorsichtig angehen und deren Auswirkungen genau beobachten. Je nachdem, wie die Finanzmärkte reagieren, verändern sich auch die monetären Bedingungen in der Wirtschaft wieder. Diese Wechselwirkung muss eine Zentralbank beim Fortgang ihrer Normalisierung berücksichtigen. Sie muss zudem eine Güterabwägung vornehmen zwischen möglichen Verzerrungen als Folge einer zu langsamen Normalisierung und einer möglicherweise zu restriktiven Geldpolitik.

Eine Ursache der Finanzkrise von 2008 war ein Schuldenboom, der von expansiver Geldpolitik ermöglicht wurde. Wurde jetzt nicht genau das Gleiche wieder getan?
Man kann nie ausschliessen, dass Kreditzyklen sich wiederholen. Unsere Einschätzung ist aber nicht so, dass die weltweit expansive Geldpolitik bereits den Keim für eine nächste Krise gelegt hätte.

Der globale aggregierte Schuldenstand ist in den letzten zehn Jahren nochmals massiv gestiegen, auf ein Niveau in Relation zum Welt-BIP, das wir noch nie gesehen haben. Bereitet Ihnen das keine Sorgen?
Selbstverständlich beobachten wir die internationale Schuldenentwicklung genau. Wir stellen auch fest, dass die Staatsschulden in verschiedenen Ländern stark zugenommen haben. Die Beurteilung der Nachhaltigkeit dieser Entwicklung ist aber im Einzelfall unterschiedlich. Zinserhöhungen können in bestimmten Ländern sicher zu gewissen Problemen führen.

Die Zentralbanken haben eine enorm wichtige Rolle erhalten. Besteht nicht die Gefahr, dass wir uns der Illusion hingeben, die Zentralbanken könnten die Wirtschaft feinsteuern?
Die Zentralbanken haben immer betont, dass sie nicht jedes Problem lösen können. Auch die Vorstellung einer Feinsteuerung der Inflation ist unrealistisch. Das geldpolitische Konzept der Nationalbank spiegelt deshalb unsere Überzeugung, dass die Inflation nicht punktgenau gesteuert werden kann. Preisentwicklungen sind oft träge Prozesse. Für uns bedeutet Preisstabilität, wenn sich die Inflation unterhalb von 2%, aber im positiven Bereich bewegt. Unser Ziel ist, die Preisstabilität in der mittleren und der langen Frist zu erhalten. Dabei kann es immer wieder Bewegungen nach oben und nach unten geben.

Im Verlauf der letzten neun Jahre haben sich die Bilanzen der Zentralbanken grosso modo vervierfacht. Wird es je eine Normalisierung zu einem Status quo ante geben?
Es ist schwierig zu sagen, ob wir zum Zustand von vor der Krise zurückkehren werden. Wir kennen weder das künftige Potenzialwachstum der Wirtschaft noch den künftigen realen Gleichgewichtszins. Es gibt durchaus Argumente dafür, dass der reale Gleichgewichtszins auf tieferem Niveau liegt als vor der Krise. Das würde auch bedeuten, dass der Weg zur Normalisierung kürzer ist. In meinen Augen ist zudem der Fokus auf die Grösse der Zentralbankbilanzen übertrieben. Es ist durchaus möglich, dass die Bilanzen gross bleiben. Das ist grundsätzlich nicht ein Problem. Eine Zentralbank kann auch mit einer grossen Bilanz die Geldpolitik straffen.

In der Eurozone ist die Wirtschaft auf gutem Weg. Wäre es nun nicht auch für die EZB an der Zeit, die Normalisierung anzugehen?
Wir geben anderen Zentralbanken nie Ratschläge. Erfreulich ist aber, dass sich die wirtschaftliche Situation in der Eurozone verbessert. Auch die EZB verfolgt das Ziel der Preisstabilität, und wenn die wirtschaftliche Situation sich so weit bessert, dass die Inflation steigt, dann wird eine Normalisierung der Geldpolitik auch in der Eurozone möglich werden.

Die Bilanz der SNB ist grösser als die jährliche Wirtschaftsleistung der Schweiz. Das ist ein weltweiter Spitzenwert. Wie sieht für die SNB der Pfad zur Normalisierung aus?
Die Grösse der Bilanz ist das Ergebnis unserer Geldpolitik und Ausdruck der Krisenbekämpfung in der Schweiz. Man sieht, dass die Krise und der Druck auf den Franken primär über die Bilanz der SNB absorbiert wurden. Wir haben keine Notwendigkeit und keine Absicht, in der gegenwärtigen Situation unsere Bilanz zu kürzen. Es gibt auch Raum, die Bilanz nötigenfalls weiter auszudehnen.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die SNB wenigstens die Negativzinsen aufheben kann?
Nochmals: Ein Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik ist für die Nationalbank im Moment kein Thema. Wir haben in der Schweiz im internationalen Vergleich immer noch eine ausgesprochen niedrige Inflation und eine unterausgelastete Wirtschaft. Und wir verzeichnen im historischen Vergleich immer noch eine sehr geringe Zinsdifferenz gegenüber Anlagen in fremder Währung. Es ist nicht sinnvoll, in dieser Konstellation über eine Verschärfung unserer Geldpolitik die bisherige Erholung zu gefährden.

Aber wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie denn beginnen, wieder eine einigermassen normale Geldpolitik zu betreiben?
Unser Auftrag ist die Preisstabilität unter Berücksichtigung der Konjunktur. Wenn die Preis- und Konjunkturentwicklung sowie das internationale Umfeld und die Zinsdifferenz zu Auslandanlagen sich so entwickeln, dass sich eine Rücknahme des geldpolitischen Expansionsgrads aufdrängt, dann wird die SNB das tun. Im Moment ist das nicht der Fall, und es sieht auch nicht danach aus, dass das in absehbarer Zeit der Fall sein wird.

Bisher haben Sie immer gesagt, der Franken sei deutlich überbewertet. Nun ist der Euro seit Anfang Jahr deutlich erstarkt. Gilt Ihre Aussage noch?
Der Franken hat sich gegenüber dem Euro etwas abgeschwächt, doch gleichzeitig hat er sich zum Dollar aufgewertet. Wir betrachten immer die gesamte Währungssituation. Wir können sicher feststellen, dass die Entwicklung der letzten Wochen zu einem Abbau der deutlichen Überbewertung beiträgt. Aber dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Wir führen unsere Geldpolitik unverändert weiter.

Nochmals konkret: Ist der Franken noch deutlich überbewertet?
Die momentane Entwicklung trägt zur Reduktion der deutlichen Überbewertung bei. Aber die Situation ist fragil. Wir wissen nicht, ob die kurzfristigen Bewegungen, die wir am Markt sehen, nachhaltig sind. Es können rasch Gegenbewegungen auftreten, wie wir beim Anstieg der Spannungen um Nordkorea gesehen haben.

Nutzen Sie die Eurostärke, um etwas Devisenreserven abzustossen?
Wir wollen die Wirkung unserer Politik nicht gefährden, indem wir sie jetzt ändern. Wir haben aktuell weder Grund noch Absicht, die Bilanz zu reduzieren.

Eine Begründung für die Einführung der Negativzinsen war, dass Schweizer Investoren Geld im Ausland anlegen sollten. Ist es wirklich ein Ziel der SNB, dass Pensionskassen mit den Vorsorgegeldern das Risiko eingehen, diese ohne Währungsabsicherung in ausländische Bonds anzulegen?
Wir geben keine Empfehlungen für Anleger oder Pensionskassen ab. Wir stellen aber fest, dass der Appetit von Schweizer Anlegern und Pensionskassen, Geld im Ausland anzulegen, kleiner ist als früher. Das hat sicher auch dazu beigetragen, dass der Aufwertungsdruck auf den Franken stärker wurde. In der Folge ist auch die Nationalbankbilanz gewachsen. Wir verzeichnen ja einen Leistungsbilanzüberschuss, und dieser muss definitionsgemäss im Ausland angelegt werden. Mit dem Negativzins verringern wir die Attraktivität von Frankenanleihen generell, für inländische wie ausländische Anleger.

Sie haben erwähnt, dass die Bilanz der SNB die Konsequenz der Krisenbekämpfung ist. Das heisst ja, dass latente Kosten in der Bilanz schlummern, die noch nicht sichtbar sind. Ist in der schweizerischen Politik genügend anerkannt, in welch beispielloser Situation sich die SNB befindet?
Ich glaube, es gibt ein gutes Verständnis in Politik und Öffentlichkeit für die anspruchsvolle Situation der SNB und die  Herausforderungen unserer Geldpolitik. Selbstverständlich gibt es Bewertungsrisiken in unserer Bilanz, die zu grossen Verlusten oder auch grossen Gewinnen führen können. Das ist die Konsequenz, wenn die Bilanz weitgehend aus Anlagen in Fremdwährungen besteht.

Was, wenn dereinst ein derart grosser Verlust entsteht, dass das Eigenkapital der SNB ausgelöscht wird?
Wir können nicht ausschliessen, dass wir aufgrund von extremen Bewertungskorrekturen in unseren Aktiven vorübergehend ein negatives Eigenkapital haben. Allerdings wird die Nationalbank wegen ihres Notenmonopols in der langen Frist immer wieder Gewinne machen und ihr Eigenkapital aufbauen können. Die Handlungsfähigkeit der Nationalbank würde nicht beeinträchtigt. Die Kontrolle über die monetären Bedingungen ist auch mit negativem Eigenkapital gewährleistet. Es gibt genügend Beispiele von Zentralbanken, die ihre Geldpolitik über eine gewisse Zeit mit negativem Eigenkapital führten.

Ist es im derzeitigen ausserordentlichen Modus denn wirklich sinnvoll, noch Gewinne an Bund und Kantone auszuschütten?
Wir haben eine intelligente Vereinbarung mit dem Eidgenössischen Finanzdepartement für die Ausschüttung von Gewinnen. Der Kern dieser Vereinbarung besagt, dass wir nur dann einen Betrag an Bund und Kantone transferieren, wenn unser effektives Eigenkapital grösser ist als das angestrebte Eigenkapital – das heisst, wenn die sogenannte Ausschüttungsreserve positiv ist. Wir sind uns der Risiken in unserer Bilanz bewusst, und deshalb wollen wir die Kapitalsituation möglichst so halten, dass wir eine Situation mit negativem Eigenkapital vermeiden können.

Was sind für Sie persönlich die wichtigsten Lehren der letzten Jahre?
Was wirklich überraschend war, ist die Länge dieser Krise respektive die Dauer ihrer Auswirkungen. Wir wurden immer wieder vor neue geldpolitische Herausforderungen gestellt, mussten in hoher Kadenz Probleme analysieren und dann entsprechende Massnahmen finden, um die Situation zu bewältigen. Dies ist nur möglich, wenn man bereit ist, in kritischen Situationen zu entscheiden, auch wenn alle Handlungsoptionen unangenehm sind.

Die Notenbankgeldmengen sind weltweit explodiert, ohne dass Inflation entstanden wäre. Heisst das, dass die Inflation als Problem tot ist?
Nein, das glaube ich nicht. Es stimmt, dass wir eine schwache Inflationsentwicklung gesehen haben. Wenn man die Geldmenge betrachtet, dürfte man eigentlich erwarten, dass die Inflation höher wäre. Die Marktteilnehmer zeigten aber eine enorme Nachfrage nach Liquidität, und die Zentralbanken mussten diese befriedigen. Sollte das einmal drehen, dann muss das Ausmass der Liquidität im System reduziert werden. Ich würde davor warnen zu behaupten, die Inflation sei kein Problem mehr und werde auch in Zukunft kein Problem sein.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Zentralbanken schnell genug reagieren werden, wenn es denn mal dreht?
Ich bin zuversichtlich. Man kann nie ausschliessen, dass die Inflation die Grenze der Preisstabilität vorübergehend etwas überschiesst. Aber das Bewusstsein der Bedeutung der Preisstabilität ist bei allen wichtigen Zentralbanken vorhanden. Und die Instrumente, diese Liquidität aus dem System zu nehmen, wenn es sein muss, stehen zur Verfügung. Die Zentralbanken wollen ihre Reputation in Bezug auf die Erfüllung ihres Hauptmandats – eben der Preisstabilität – nicht verlieren.

Was sind Ihre grössten Sorgen?
Eine grosse Bedrohung wäre eine Rückkehr der massiven Risikoaversion, wie wir sie bei Ausbruch der Finanzkrise gesehen haben – zum Beispiel wegen einer geopolitischen oder terroristischen Entwicklung. Das würde sich wie ein Dominoeffekt über die Finanzmärkte ausbreiten und sich auf die Stimmung der Konsumenten und der Produzenten auswirken – was wiederum die Weltwirtschaft stark bremsen würde, die ja jetzt eigentlich auf gutem Pfad ist. Ein solches Ereignis würde unsere Arbeit massiv erschweren.

Und spezifisch auf die Schweiz bezogen?
Ich glaube, dass das Bewusstsein für die Bedeutung von guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei uns nicht immer vorhanden ist. Wir sind in einer ausgesprochen guten Situation in der Schweiz. Die Reallöhne sind deutlich höher als in fast allen anderen Ländern, die strukturelle Arbeitslosigkeit ist tief. Die Möglichkeiten, sich zu entfalten, sind wohl einzigartig. Das ist nicht einfach gegeben. Es ist die Folge von guten Rahmenbedingungen, und diesen müssen wir Sorge tragen oder sie noch verbessern.

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