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07:03 Uhr - 20.09.2019

Das Politikversagen ist das Problem

Raphael Pitoun, Portfoliomanager bei CQS New City Equity, fokussiert auf Unternehmen mit solider Bilanz. Zu seinen Anlagetipps zählen Straumann und Abbott Labs.

Herr Pitoun, wie stufen Sie gegenwärtig das Marktumfeld ein?
Es ist definitiv eine Diskrepanz zwischen dem Anleihen- und dem Aktienmarkt zu sehen. Wenn die Bondrenditen sinken, ist das normalerweise ein Signal für eine bevorstehende Rezession – gerade in Kombination mit einer invertierten Zinskurve. Zur selben Zeit notieren viele Aktienindizes nahe ihrem Allzeithoch. Allerdings sollte man beachten, dass weder der Anleihen- noch der Aktienmarkt zuverlässige Aussagen zum künftigen Wachstum zulassen. Das aktuelle Marktumfeld ist vielmehr ein Abbild dessen, was die Zentralbanken unternehmen – etwa hinsichtlich monetärer Stimulusmassnahmen.

Wie relevant ist der globale Handelsstreit?
In den Unternehmen, die wir analysieren, haben wir bislang nur eine sehr limitierte Wirkung festgestellt. Die Handelsbeziehung zwischen den USA und China macht nur 2% des Welthandels aus. Trotz den Strafzöllen sind die Folgen auf den Konsum begrenzt. Etwa sind in den USA kaum Inflationstendenzen zu sehen. Auch bei den Konzerngewinnen ist der negative Einfluss nur in einzelnen Branchen wie Rohstoffe oder Automobil erkennbar. Der Disput trübt aber definitiv die Investitionsaktivität der Unternehmen.

Wie dürfte es im Konflikt weitergehen?
China hat zwar diverse Möglichkeiten, zurückzuschlagen. Wir sollten allerdings nicht die Bereitschaft der Chinesen unterschätzen, eine Lösung anzustreben. China braucht Wachstum viel dringender als die USA. Und die Spannungen in Hongkong dürften Peking daran erinnert haben, wie wichtig die Wahrung der sozialen Stabilität ist. US-Präsident Donald Trump befindet sich also in einer starken Position.

Erwarten Sie eine weitere Abkühlung der globalen Konjunktur?
Gerade jetzt, im September und Oktober, legen viele Unternehmen ihr Budget für das kommende Jahr fest. Die allgemeine Unsicherheit führt dazu, dass operative Ausgaben und Investitionspläne gekürzt werden. Auch die Lagerbestände dürften reduziert werden, was sich dämpfend auf das kurzfristige Wirtschaftswachstum auswirkt. Die Situation bleibt also ziemlich fragil. Die Frage ist: Kommt es zu einer kurzen oder einer langen Rezession? Meiner Meinung nach dürfte der Abschwung relativ kurz ausfallen und auf einzelne Branchen wie Industrie, Investitionsgüter oder Automobil begrenzt sein.

Wo sehen Sie aktuell noch Lichtblicke?
Der US-Konsum zeigt sich gegenwärtig sehr solide. Wenn die Rohstoffpreise und die Hypothekarzinsen weiter sinken, dürfte das zusätzlich Auftrieb verleihen. Auch der amerikanische Arbeitsmarkt läuft momentan auf Hochtouren. Zudem dürfte sich die Steuerreform noch immer positiv auf viele Haushalte auswirken.

Welche Entwicklung prognostizieren Sie den globalen Aktienmärkten?
Man muss drei Faktoren beachten: die Wachstumsraten, die Bewertung und die Marktliquidität. Das Wachstum verlangsamt sich, was dem Markt kaum helfen wird – besonders in Europa. Wenn die Anleihenrenditen weiterhin so niedrig bleiben, schauen Aktien in Sachen Bewertung dagegen durchaus erschwinglich aus. Hinsichtlich Liquidität kommt es darauf an, wie weit die Notenbanken mit neuen Kapitalspritzen gehen und wie gut sie die Realwirtschaft tatsächlich ankurbeln – gerade angesichts der schlechten geopolitischen Visibilität.

In den amerikanischen und den europäischen Aktienmärkten wird für 2020 weiterhin von einem hohen Gewinnwachstum ausgegangen. Teilen Sie diese Zuversicht?
Wir befinden uns in der Zeit des Jahres, in der die Analystenerwartungen typischerweise nach unten revidiert werden. Langfristig erzielten die Unternehmen im S&P 500 durchschnittlich ein jährliches Gewinnwachstum zwischen 7 und 8%. Wenn man davon ausgeht, dass der Konsens zurzeit bei rund 10% liegt, wäre die Revision folglich nicht allzu gross.

Gerade US-Unternehmen haben das Niedrigzinsumfeld dazu genutzt, sich stärker zu verschulden. Sehen Sie hier Risiken?
Ich schaue immer genau auf den Verschuldungsgrad. Wir fokussieren meist auf Gesellschaften mit einer sehr soliden Bilanz. Das sind in der Regel auch Konzerne, die die Marktführerschaft wahren können, was auch immer in der Branche oder der Gesamtwirtschaft geschieht. Wir betrachten das Thema also nicht von einem finanziellen, sondern eher von einem strategischen Standpunkt aus.

Können Sie das genauer erläutern?
Ein Beispiel liefert der Kosmetiksektor: Auf der einen Seite gibt es stark verschuldete Unternehmen wie Revlon, die angesichts der Schuldenlast kaum auf neue Konsumtrends reagieren können. Auf der anderen Seite haben wir Namen wie Estée Lauder (EL 192.92 0.47%), die über eine sehr solide Bilanz verfügen und deshalb genügend Spielraum besitzen, auf neue Marktentwicklungen zu reagieren – zum Beispiel mit neuen Filialen oder neuen Produkten.

Auf welche Faktoren schauen Sie in der Auswahl der Unternehmen sonst noch?
Ich achte unter anderem auf Aktienrückkäufe. Ein Grossteil der gestiegenen Verschuldung ist darauf zurückzuführen, dass Unternehmen mit dem aufgenommenen Fremdkapital eigene Titel zurückgekauft haben. Ich kann mich gut an die Finanzkrise erinnern – und an Unternehmen, die noch 2007 grosse Buybacks umgesetzt haben und bereits ein Jahr später gezwungen waren, eine Kapitalerhöhung durchzuführen. Wachstum, das primär durch Financial Engineering angetrieben wird, muss kritisch betrachtet werden. Wir bevorzugen organisches Wachstum, etwa über steigende Margen.

In welchen Bereichen sehen Sie Trends, die trotz schleppender Konjunktur solches Wachstum versprechen?
Zurzeit werden in Emerging Markets wie China und Indien zahlreiche Wasserprojekte umgesetzt, die mit grossem Budget ausgestattet werden. Hier sind auch diverse Unternehmen aus den Industrieländern involviert, beispielsweise Xylem (XYL 77.95 -0.56%).

Welche Unternehmen gefallen Ihnen sonst?
Wir versuchen primär in Gesellschaften mit gesundem Geschäftsmodell zu investieren, die nicht so starkem Margendruck ausgesetzt sind. Einem Geschäftsmodell also, bei dem die Konsumenten nicht mit Marketing überzeugt werden, sondern mit der Qualität der Produkte.

Können Sie konkrete Namen nennen?
Um die Preismacht in einem Markt wahren zu können, muss stetig innoviert werden. Wir mögen Unternehmen, die anderen Gesellschaften dabei helfen, Innovationen voranzutreiben. Dazu gehören etwa Softwarehäuser wie Ansys, Dassault Systèmes oder Nemetschek (NEM 47.02 0.9%).

Haben Sie weitere Anlagetipps?
Ein Unternehmen, in das wir investiert sind, ist der US-Konzertveranstalter Live Nation. Die kalifornische Gesellschaft organisiert beispielsweise Touren für bekannte Künstler. Auch gehört ihr das Verkaufsportal Ticketmaster.

Was halten Sie von den FAANG-Aktien wie Facebook (FB 190.14 1.06%), Alphabet oder Netflix (NFLX 286.6 -1.7%), die lange Zeit den Gesamtmarkt angetrieben haben?
Da sind wir nicht beteiligt. Ein Faktor, den wir beispielsweise beim Streamingdienst Netflix nicht mögen, ist die schwache Bilanz. Zudem sind die Wechselkosten für Nutzer nicht allzu hoch. Mit einem Klick kann man das Abonnement kündigen und zur Konkurrenz gehen, beispielsweise zu HBO oder Disney (DIS 133.3 -2.56%).

Halten Sie auch Beteiligungen im Schweizer Aktienmarkt?
Wir sind zurzeit beim Dentalunternehmen Straumann (STMN 810.6 0.32%) investiert. Ein Geschäftsmodell, das wir grundsätzlich mögen, ist B2B2C – Gesellschaften wie Straumann also, die Spezialisten beliefern, die wiederum an den Endkonsumenten verkaufen. Vor einigen Jahren entschied sich Straumann, in günstigere Preissegmente vorzustossen. Viele Investoren waren anfangs recht skeptisch, doch hat sich der Schritt ausgezahlt. Zudem ist das Unternehmen sehr innovativ und verfügt über eine gute Corporate Governance.

Abbott Laboratories (ABT 83.23 -0.49%) ist zurzeit in Ihrem Fonds die grösste Position. Was gefällt Ihnen am US-Gesundheitsunternehmen?
Abbott Laboratories ist ein grosses Unternehmen, das es dennoch geschafft hat, seine Innovationskraft über alle Konzernstufen zu wahren. Trotz der Grösse wächst es immer noch sehr stark. Produktseitig hat es etwa ein fortschrittliches Blutzuckermessgerät lanciert. Der Markt hat gemäss jüngsten Aussagen des Managements ein Potenzial von 10 Mrd. $.

Wo weichen Sie vom Marktkonsens ab?
Vorsichtig bin ich zum Beispiel bei Unternehmen aus dem Basiskonsumsektor wie Nestlé (NESN 107.22 0.26%) oder Danone, deren Aktien über die letzten Monate extrem gut gelaufen sind. Die Stärke wurde vor allem von der Marktliquidität getrieben und dem Fakt, dass die Titel als Anleihenersatz gesucht waren – ohne dass gleichzeitig der ökonomische Wert der Unternehmen gestiegen wäre. Ich würde deshalb der Mehrheit der Branchenvertreter fernbleiben.

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